Johannes Weg

 

 

 

Wahrhaftiger Glaube

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wien 2018

 

 

 

 

 

 

Weg, Johannes

 

Wahrhaftiger Glaube

21. überarbeitete Ausgabe

Wien 2018

 

 

 

Alle Rechte vorbehalten

© Johannes Weg, Wien 2018

 

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Was weiß ich wirklich?

3. Was bleibt bestehen?

4. Beeinflußte Freiheit?

5. Praktische Konsequenzen

6. Religion

7. Leben als agnostisch Glaubende

8. Referenzen und Anmerkungen

 

 

Bitte die zahlreichen ergänzenden Anmerkungen in den Fußnoten stets mitlesen!

(Auch wenn viele Fußnoten nur Referenzen enthalten.)

1.   Einleitung

Die in diesem Text grob skizzierten Gedanken beruhen auf einer für mein Empfinden existentiellen Erfahrung. Im Zuge von Gewissensfragen geriet ich nämlich nach einer Kindheit und Jugend als fundamentalistischer Christ in eine große Glaubenskrise, die schließlich im Verlust vermeintlicher Gewißheiten mündete. Was mein Leben bis dahin bestimmt hatte, erschien plötzlich wie eine bloße Fiktion. In der Folge pendelte meine Überzeugung zunächst in Richtung eines atheistischen Materialismus im Sinne der Physik des 19. Jahrhunderts.

Deren Infragestellung durch Quanten- und Relativitätstheorie führten mich zu einer intensiven Beschäftigung mit Erkenntnisproblemen, teilweise auch deshalb, weil ich in jener Zeit über die eher zufällige Lektüre eines Klassikers der systemischen Psychotherapie[1] auf den sogenannten radikalen Konstruktivismus (der nicht mit dem Konstruktivismus der Erlanger Schule zu verwechseln ist) gestoßen war. In der Auseinandersetzung mit dessen Thesen fand ich es jedoch bemerkenswert, wie wenig und oft nur oberflächlich die meisten seiner Vertreter bislang darauf eingingen, daß diese Erkenntnistheorie konsequenterweise ihrerseits als Konstruktion zu betrachten sei, und das, obwohl die Zirkelbehaftetheit des menschlichen Denkens von den Konstruktivisten sonst sehr ausführlich diskutiert wird.[2]

Bei einem anderen epistemologischen Ansatz, dem kritischen Rationalismus Karl Poppers,[3] fiel mir ebenfalls ein Mangel in der Selbstreflexion auf, und zwar im Hinblick auf eine meiner Meinung nach nicht gerechtfertigte Leugnung jeglicher Elemente mit induktivem Charakter.[4] Obwohl ich keiner Methode die verläßliche Annäherung an eine unter allen Umständen tragfähige Wahrheit zutraue, lehne ich den totalen Anarchismus eines Paul Feyerabend[5] ab. Die Rechtfertigung meiner diesbezüglichen Ansicht gehorcht dabei ihr selbst innewohnenden Grundsätzen und entspringt letztlich zumindest scheinbar erfahrenen, kritisch gegeneinander abgewogenen Erlebnissen. Bei allen Überlegungen in diesem Kontext war mir die Reflexion über die Konsequenzen in religiöser, ethischer und gesellschaftspolitischer Hinsicht das eigentlich Wesentliche.

2.   Was weiß ich wirklich?[6]

Nach dem Zusammenbruch meines religiösen Weltverständnisses und der Unhaltbarkeit eines zwischenzeitlichen naiven Materialismus infolge der modernen Physik machte sich in mir eine generelle Unsicherheit breit. Wer garantiert, daß die neueren Theorien, die teilweise dem sogenannten gesunden Menschenverstand zu widersprechen scheinen, nicht ebenfalls falsch sind?

Zum einen ist es so, daß ein großer Teil der von Wissenschaftlern und anderen Fachleuten publizierten experimentellen Befunde von mir einfach geglaubt und in der Regel mit einer vorgefertigten Deutung übernommen werden müssen, da mir Mittel, Zeit etc. fehlen, um diese zu prüfen. Vielfach sprechen vereinzelte punktuelle persönliche Erlebnisse oder technische Errungenschaften für eine gewisse Glaubhaftigkeit der behaupteten „Sachverhalte“. Bei manchem, etwa die Relativitätstheorie betreffend, habe ich allerdings Vorbehalte.

Zum anderen ist aber auch dem eigenen sinnlichen Eindruck oft nicht zu trauen. Besonders faszinierte mich in diesem Zusammenhang eine schlicht gestaltete Anordnung in einem technischen Museum, die dort vermutlich im Zuge einer Sonderschau gezeigt wurde. Es handelte sich um einen in Graublau gehaltenen Guckkasten. Dabei blickte das linke Auge direkt durch eine Öffnung auf eine Comicfigur in grellen Farben an der sonst eintönigen Rückwand, während der Blick des rechten Auges durch einen Spiegel in 45° Anordnung auf die rechte Wand des Kastens im gleichen Graublau gelenkt wurde. Es war bereits seltsam festzustellen, daß man beim gleichzeitigen Blick mit beiden Augen nicht merkte, daß das optische Bild der Comicfigur nicht ins rechte Auge gelangte. Noch verblüffter war ich, als ich anweisungsgemäß meine rechte Hand durch eine Öffnung in die Box hielt, direkt an die Stelle, die über den Spiegel vom rechten Auge eingesehen wurde. Solange die Hand ruhig gehalten wurde, war diese nicht zu erkennen. Wurde sie jedoch bewegt, so verschwand die grelle Comicfigur aus dem Gesichtskreis und die Hand tauchte an ihrer Stelle auf. Bei erneutem Innehalten wurde letztere wieder von der erwähnten Figur aus dem Blickfeld verdrängt. Das Phänomen (binokulare Rivalität genannt) war ohne Probleme reproduzierbar und machte auf mich einen stärkeren Eindruck als unzählige andere Beispiele für optische Täuschungen, Effekte um den blinden Fleck etc., die man ja von Kindheit auf kennt.

Es gibt etliche weitere Experimente, die das Gehör, das Wärmeempfinden und vieles mehr betreffen, welche ebenfalls zeigen, daß man eigenen Wahrnehmungen nicht völlig vertrauen kann. Der erkenntnistheoretische radikale Konstruktivismus führt in seiner Argumentation neben zum Teil physiologisch bedingten Verzerrungen der menschlichen Wahrnehmung auch andere, die sich rein aus unserer psychischen Konstitution oder sozialen Eingebundenheit ergeben, ins Treffen. In diesem Kontext würden Phänomene wie etwa selbsterfüllende Prophezeiungen auftreten, für die man retrospektiv durchaus eigene Erlebnisse wiederfindet oder zumindest zu finden meint. Alles was wir Menschen über die Außenwelt zu wissen glauben, sei letztlich eine Konstruktion unseres Erkenntnisapparates, ohne dessen Vermittlung wir keinen Zugang zur Wirklichkeit hätten. Unter Rückgriff auf die Evolutionstheorie, gemäß der die Lebewesen einschließlich des Menschen nur durch zufällige Mutationen und eine von den Gegebenheiten im Lebensraum bewirkte Selektion geformt wurden, postuliert der Konstruktivismus, daß dieser Erkenntnisapparat nicht unbedingt ein wahrheitsgemäßes Abbild der Wirklichkeit liefere, sondern nur ein Konstrukt, welches sich innerhalb der bisherigen Stammesgeschichte als hinreichend bewährt habe. Insbesondere wenn sich der Mensch mit Hilfe von ihm selbst geschaffener technischer Errungenschaften in Bereiche vorwage, mit denen seine Vorfahren nie konfrontiert waren, wäre ein Scheitern der natürlich vorhandenen Vorstellungskraft durchaus denkbar. Dies trifft nun offenbar im Mikrokosmos der Quantenphänomene zu, dessen Eigenheiten einer intuitiven Weltauffassung massiv widersprechen.[7]

Im Gegensatz zum auf empirischen Befunden fußenden Konstruktivismus wollte der kritische Rationalismus unter anderem mit Hilfe des Falsifizierbarkeitskriteriums ein rein logisch-axiomatisch festgesetztes Instrumentarium für die Weiterentwicklung der Wissenschaft zur Verfügung stellen, dessen grundlegende Prinzipien von Beobachtungen weitgehend unabhängig sein sollten.[4] Später wurde die Methode allerdings unter anderem auch als Fortführung der in der „evolutionären Erkenntnistheorie“ postulierten „kulturellen Selektion“ gedeutet.[8] Popper rechnete ja die Entstehung von Theorien dem Bereich des Zufälligen zu und forderte gewissermaßen deren Auslese durch Prüfung ihrer Tauglichkeit an intersubjektiv akzeptierten Basissätzen[9] (die normalerweise in der Praxis nicht der Lehre Poppers folgend „willkürlich“ festgelegt sondern schlichtweg a posteriori abgeleitet werden).

Thomas Kuhn wies darauf hin, daß in der Vergangenheit alte Weltbilder oder Paradigmen eine relativ große Beharrungstendenz aufwiesen und oftmals erst im Verlauf eines revolutionär gearteten Wechsel durch funktional erfolgreichere abgelöst wurden.

Imre Lakatos hat bezüglich der Praxis von „Forschungsprogrammen“ diskutiert, daß zumindest der Kern etablierter Theorien den Hintergrund mitprägt, vor dem sich eine These bewähren muß, und daß im Fall auftauchender Ungereimtheiten tendenziell versucht werde, an den Grundgedanken durch Zusatzannahmen etc. (strenggenommen also „Immunisierungsstrategien“) festzuhalten.[10]

Popper selbst räumte ein, daß die Anwendung eines Falsifikationsformalismus auch bei einem der Theorie widersprechenden experimentellen Befund keineswegs zu endgültigen Entscheidungen führt.[11] Rein logisch ist eine Aussage der Form: „Für alle x gilt y.“ widerlegt, wenn für ein x gezeigt werden kann, daß y nicht gilt. In der Praxis können sich jedoch Probleme im Zusammenhang mit x und y ergeben. Im oft genannten, wissenschaftsgeschichtlich gesehen jedoch bloß fingierten Beispiel der Hypothese: „Alle Schwäne sind weiß“, würde diese durch einen einzigen schwarzen oder sonstig gefärbten Schwan widerlegt, wobei die Farbe natürlich nicht in der Definition des Begriffes „Schwan“ festgelegt sein darf. Nehmen wir nun an, es hätten sich lange Zeit keine nicht-weißen Schwäne gefunden. Schließlich aber sei eine schwarze Vogelspezies von Experten auf der Basis extrem detaillierter Untersuchungen des Phänotyps weltweit taxonomisch als Schwan klassifiziert und die Weißhypothese für falsifiziert erklärt worden. Im Zuge späterer molekulargenetischer Vergleiche stellte sich dann jedoch heraus, daß die Vogelart auf keinen Fall den Schwänen zuzuordnen sei.[12] Das fiktive Szenarium zeigt, daß eine Falsifikation ihrerseits falsifiziert werden kann, und zwar deshalb, weil sich die Beurteilung von x oder Definition von y als unzulänglich herausstellen können.[13]

In der Tat existiert ein historisch berühmtes Beispiel für die Falsifikation einer Falsifikation nämlich im Falle der Teilchentheorie des Lichtes. Diese schien durch Beugung, Interferenz am Doppelspalt etc. endgültig widerlegt. Dennoch wurde sie von Einstein zur Erklärung des Photoeffektes in gewissem Sinne wieder rehabilitiert.[14] So lassen sich über die Wirklichkeit also nicht einmal negative Gewißheiten gewinnen, wie manche unzulässig verkürzte Darstellungen von Poppers Thesen nahelegen. Die Teilchentheorie des Lichtes ist deshalb ein besonders erwähnenswertes Beispiel, weil hier die Widerlegung durch die beobachteten Welleneigenschaften zunächst praktisch unumstritten schien. Natürlich könnte man den Teilchen-Welle-Dualismus als Immunisierung betrachten bzw. die klassische Teilchentheorie als nach wie vor widerlegt.[15] Es sollte allerdings beachtet werden, daß mit den Welleneigenschaften aus einstiger Sicht „logischerweise“ viele Teilcheneigenschaften, die das Licht aber nachweislich doch besitzt, ausgeschlossen schienen.

Daher glaube ich nicht, daß sich eine grundsätzliche Falsifizierbarkeit[16] (die von einer tatsächlichen Falsifikation, welche auf auch nach Popper stets unsicheren Basissätzen beruht, zu unterscheiden ist) wirklich in fast allen (abgesehen nur von einigen umstrittenen) Fällen „mit rein logischen Mitteln und daher mit Sicherheit“ beurteilen läßt.[17] Damit ist jedoch die Rolle fragwürdig, die der kritische Rationalismus der Falsifizierbarkeit zuschreibt, nämlich jene als „logisches Abgrenzungskriterium“ zwischen wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Aussagen. Meinem Eindruck nach dürfte es vielmehr so sein, daß Umstände, die zur Falsifizierung einer Theorie führen können, in nachvollziehbarer, nicht willkürlicher Weise nur selten völlig ohne empirische Grundlagen festgelegt werden können. Die Falsifizierbarkeitskriterien bilden oft so etwas wie „Hilfstheorien“ über gewisse Aspekte einer Theorie, die nicht notwendiger Weise ein deduktiv ableitbarer Teil der zu untersuchenden Hypothese sind. Sie müssen sich selbst hinsichtlich ihrer Eignung bewähren und unterliegen damit eben auch der Fehlbarkeit.[18]

Die Problematik, daß zum Testen einer Hypothese oder Theorie meist eine Reihe von zusätzlichen Annahmen über die Eignung der verwendeten Apparate, Berechnungsalgorithmen usw., sowie die hinreichende Sicherstellung der Unterdrückung bekannter oder gar unbekannter Störfaktoren notwendig sind, und deshalb nicht ohne weiteres klar ist, welcher Teil all dieser Annahmen nun gegebenenfalls als falsifiziert zu betrachten ist, wird in der einschlägigen Literatur unter dem Schlagwort Duhem-Quine-These diskutiert.[19]

Alan F. Chalmers weist im Zusammenhang mit dem historischen Beispiel der kopernikanische Wende vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild darauf hin, daß diese unter Anwendung von Poppers Methodik nicht stattfinden hätte können, da die zunächst angenommenen Planetenkreisbahnen viel schlechtere Übereinstimmungen mit den Beobachtungen zeigten als das ptolemäische System. Erst die Einführung von elliptischen Bahnen durch Johannes Kepler brachte Besserung ohne schlicht ad hoc angepaßte Epizyklen. Außerdem waren die Vorhersagen bezüglich der Größenschwankungen von Venus und Mars aufgrund sich ändernder Abstände zur Erde so nicht zu sehen, weil das bloße Auge solche bei derart kleinen Lichtquellen vor dunklem Hintergrund nicht mit ausreichender Genauigkeit erkennen kann. Erst das Fernrohr ermöglichte hier die Bestätigung der entsprechenden erwarteten Effekte. Um das heliozentrische Weltbild voranzubringen mußten seine Anhänger anfangs also allen Widersprüchlichkeiten zum Trotz einfach daran glauben und mühsam um die Lösung der Schwierigkeiten ringen. Chalmers erwähnt auch, daß beobachtete Abweichungen des Uranus von Berechnungen auf Basis der Newton'schen Mechanik nicht als deren Falsifikation gewertet wurden, sondern die Postulierung eines weiteren Planeten veranlaßten, was zur gezielten Suche nach und der Entdeckung von Neptun führte.[20]

Auch die vage Hoffnung, eine Theorie, die mehr und besser mit experimentellen Beobachtungen übereinstimme, sollte der Wahrheit näher liegen, muß keineswegs in Erfüllung gehen. Daß dies wahrscheinlich sei,[21] kann redlicherweise nicht abgeleitet werden, ohne von einem mit der vorhandenen beschränkten Zahl an wissenschaftsgeschichtlichen Erfahrungen vereinbar scheinenden (unter Umständen aber nicht explizit formulierten sondern nur intuitiven) wahrscheinlichkeitstheoretischen Modell induktiv auf die zukünftige Bewährung der vergleichend betrachteten Theorien zu schließen, eine Vorgangsweise, bei der man den meines Erachtens im Grunde allen wissenschaftlichen Aussagen anhaftenden Vorurteilscharakter nicht aus den Augen verlieren sollte. Abgesehen davon, daß zufällige oder gar unbeachtete systematische Meßfehler bzw. sonstige Irrtümer auftreten, und daran angepaßte neue Theorien deshalb weiter von der Wirklichkeit abweichen können als ihre Vorgänger, läßt sich zeigen, daß etwa bei der Anpassung einer Kurve (als Beispiel eines beschreibenden Modells) an Datenpunkte eine Funktion zwar in einem Abschnitt eine genauere Übereinstimmung ergeben kann, über einen größeren Datenbereich aber eine andere die bessere Gesamtabbildung (z. B. gemessen in der Summe der Abstandsquadrate) liefert. Es kann daher selbst bei einer formalisierten mathematischen Modellierung vorkommen, daß ein älteres Modell nach dem Auftauchen weiterer experimenteller Daten besser ist als das zunächst richtiger scheinende. Es muß in diesem Zusammenhang beachtet werden, daß bereits vorhandenen Datenbereiche sowie die zeitliche Entwicklung der experimentellen Neuzugänge oft historisch zufällig (durch technische Erfindungen, etc.) gegeben und, wie bereits angedeutet, Meßergebnisse stets fehlerbehaftet sind. Es kann also nur festgestellt werden, welche der gegebenen Theorien die vorliegenden Beobachtungen am besten beschreibt, was aber ohne vorurteilsbehafteter Vermutung noch keinen Schluß auf deren richtige Reihung bezüglich ihrer tatsächlichen „Wahrheitsnähe“ zuläßt.

In dieser Hinsicht sind die Konstruktivisten vorsichtiger, die zugeben, daß wissenschaftliche Theorien den Charakter eines Aberglaubens besitzen könnten.[2]

Ich betrachte aber auch Logik und Mathematik als Konstrukte, deren Anwendung, trotz ihrer enormen intrinsischen Verläßlichkeit, manchmal Tücken haben kann. Nehmen wir den einfachen Ausdruck: 1 + 1 = 2. In Übereinstimmung mit dieser Abstraktion ergibt die Mischung von 1 kg Wasser und 1 kg Ethanol im Rahmen der höchsten erzielbaren Meßgenauigkeit 2 kg Gemisch, auch wenn die allgemeine Relativitätstheorie wegen der auftretenden Änderung der freien Enthalpie Abweichungen postuliert, die derzeit allerdings weit jenseits der praktisch realisierbaren Nachweisbarkeit liegen. Mischt man dagegen 1 L Wasser mit 1 L Ethanol, so kann man mit verhältnismäßig wenig Aufwand feststellen, daß das Volumen der Mischung geringfügig weniger als 2 L beträgt. Im Hinblick auf die Masse gilt hier also in der Praxis 1 + 1 = 2, während es beim Volumen nicht gilt. Der Einwand, daß dabei Verschiedenes addiert wurde, ist relativ, denn ein Kilometer Straße gleicht auch nicht völlig dem nächsten, der die Strecke auf 2 km verlängert, und immerhin wurden die zwei Flüssigkeiten nur gemischt, ohne daß etwa eine chemische Reaktion stattgefunden hätte. Zudem konnten die Additionsregeln im Hinblick auf die Massen ja erfolgreich eingesetzt werden. Es handelt sich hier um ein illustratives Beispiel zu Einsteins Bemerkung: „Insofern sich die Sätze der Mathematik auf die Wirklichkeit beziehen, sind sie nicht sicher, und insofern sie sicher sind, beziehen sie sich nicht auf die Wirklichkeit.“[22] Dies berücksichtigt Probleme im Zusammenhang mit Kurt Gödels Unvollständigkeitssatz noch gar nicht, die selbst Elemente der reinen Mathematik betreffen.[23]

Unbeschadet der metaphysischen Frage, ob es eine von intelligenten Wesen unabhängige Mathematik im idealistisch platonischen Sinne gibt, tritt mir jene reale Mathematik, mit der ich im täglichen Leben konfrontiert bin, als menschliche Konstruktion entgegen. Allerdings ist auch diese nicht beliebig, vielmehr offenbaren sich in interaktiver Weise oftmals zuvor nicht bedachte Eigenschaften. So ergeben sich etwa aus dem Konzept der natürlichen Zahlen scheinbar zwangsläufig die Primzahlen und andere Gesetzmäßigkeiten. Obwohl die euklidische Geometrie eventuell die von mir als solche erlebte Außenwelt gar nicht richtig beschreibt, besitzt sie „objektive“, intersubjektiv nachvollziehbare, nicht beliebige Eigenschaften. Dies führt drastisch vor Augen, daß das „Anything goes“ von Paul Feyerabend der Gesamtwirklichkeit nicht gerecht wird.[5] Es scheint so, als würden sich sogar „Geister“, die wir Menschen vielleicht selbst erst ins Dasein riefen, unserer vollständigen Kontrolle entziehen. Die Grunderfahrung einer Beschränkung der Beliebigkeit ist ein wichtiges Argument gegen einen allumfassenden subjektiven Relativismus, begegnet mir in jenen Grenzen doch so etwas wie eine „Objektivität“, die mich zu einer angemessenen Haltung auffordert.

Die Lage ist jedoch diffiziler als etwa die klassische Logik[24] suggeriert. In deren Rahmen scheint der Satz vom ausgeschlossenen Dritten zunächst recht einsichtig und lebensnah. Eine Aussage kann ja wohl nur entweder wahr oder falsch sein. Betrachten wir also den Satz: „Paul befindet sich momentan im Raum nebenan.“ Entweder ist Paul drinnen oder nicht – oder? Was aber, wenn Paul auf der Türschwelle steht und ein großer Teil seiner kräftigen Statur ins Zimmer ragt, ab wann ist er wirklich drinnen? Paul, als ganzer genommen, ist eben nicht drinnen, so ein möglicher (zuvor per allerdings nicht ganz unproblematischer Definition[25] festlegbarer) Standpunkt der zweiwertigen Logik. Bei einem Quantenteilchen, kann die Einschätzung der Sachlage nach derzeit anerkannten Theorien (Stichwort: Delokalisation aufgrund von Unschärfe oder Superposition) allerdings zusätzlich erschwert sein.[26]

Popper, aber auch viele radikale Konstruktivisten vertreten einen Realismus, das heißt, sie sind von der Existenz einer vom Bewußtsein ontologisch unabhängigen objektiven Außenwelt überzeugt.[3]

George Berkeley hingegen verwehrte sich dagegen, von den wahrgenommenen Phänomenen auf eine materielle Außenexistenz zu schließen.[27] In seiner ersten Meditation über die Erste Philosophie stellte René Descartes[28] überhaupt alle scheinbaren Gewißheiten in Frage. Letztlich könne nicht ausgeschlossen werden, daß jegliche Erfahrung auf die Täuschung eines bösartigen listigen Geistes mit praktisch göttlichen Möglichkeiten zurückzuführen sei. In seiner zweiten Meditation meinte Descartes jedoch einen Angelpunkt gefunden zu haben, der über jeden Zweifel erhaben sei, nämlich, daß er als zweifelnd Denkender sich seiner eigenen irgendwie, wenngleich in sehr abstrakter Weise, „dingartig“ aufgefaßten Existenz gewiß sein könne. Die angebliche Unbezweifelbarkeit jener These, die unter dem Schlagwort „Cogito, ergo sum. – Ich denke, also bin ich.“ in der philosophischen Diskussion bekannt ist, kann ich jedoch nicht ganz nachvollziehen.[29] So lehrte der Buddha in bezug auf die meditative Innenschau bereits, es gäbe da sinnliche Eindrücke, Gefühle und Gedanken, ein „ich“ (als Träger von all dem) sei aber direkt nicht greifbar.[30] Das subjektive „ich“-Erlebnis wird von ihm als ein durch das Zusammenwirken verschiedener Faktoren (Skandhas) entstehendes illusionäres flüchtiges Ereignis gedeutet. Meiner persönlichen Erfahrung nach gleicht das eigenen „ich“ beim introspektiven Annäherungsversuch irgendwie einer Fata Morgana. Daher besteht die Rechtfertigung des Begriffes wohl strenggenommen zunächst nur darin, daß sich sinnliche Eindrücke, Gefühle und Gedanken so darstellen, als ob ein Wesen mit innerem Wahrnehmungsvermögen verbunden mit einem Körper in einer davon abzugrenzenden Außenwelt existieren würde, in der es überdies weitere eigenständige Wesen mit einer gesonderten derartigen Innenwelt (Bewußtsein) gäbe. Dieser Gesamteindruck ist jedoch nicht immun gegenüber einer Täuschung (wie sie z. B. von vielen Lehren östlicher Traditionen als tatsächlich gegeben angenommen wird) sondern läßt viel Raum für Spekulationen, von denen keineswegs alle auch die Annahme eines metaphysisch existierenden „ich“ (etwa in Form einer „res cogitans“) beinhalten, welches von einer restlichen, unter Umständen „listig täuschenden“ Wirklichkeit klar zu unterscheiden wäre. (Die definitive Leugnung eines beständigen Wesenskerns einer Person ist aber ebenso eine willkürliche Glaubensannahme wie das Gegenteil.)[31]

Noch weniger haltbar als ein vermeintlich zwingender Schluß auf ein „quasi-gegenständliches“, nicht bloß als ein sich ereignendes Erlebnisphänomen belegtes „ich“ scheinen mir die weiteren Überlegungen Descartes. Der Gedanke, die Wirklichkeit könne eventuell nur Traumcharakter haben, findet sich im übrigen bereits beim chinesischen Taoisten Dschuang Dsi, der sich nach dem Aufwachen nicht mehr sicher war, ob er Dschuang Dsi sei, der geträumt habe, ein Schmetterling zu sein, oder ein Schmetterling, der träume Dschuang Dsi zu sein.[32] Allerdings ist anzumerken, daß der erwähnte Zweifel Descartes anfangs sehr viel tiefer ging.

Dem Genre der Science-fiction entsprungen sind neuere Spielarten der Außenweltskepsis, wie die Diskussionen von Hilary Putnam über die Möglichkeit, in Wahrheit nur ein Gehirn in einem Tank zu sein, dem in einer Nährlösung mit Hilfe eines manipulativen Computers die Welt nur vorgegaukelt würde.[33] Im Film „Matrix“ wurde vor einigen Jahren ebenfalls die Idee der Wirklichkeit als Computersimulation durchgespielt.[34] Diese Phantasien sind trotz der eher materialistisch-realistischen Ausgestaltung in bezug auf die Beschaffenheit der „eigentlichen Wirklichkeit“ insofern eine Bereicherung, als sie aufzeigen, daß stets neue Varianten von Vorstellungen darüber möglich sind, was hinter unserer Erlebniswelt stehen könnte. Theoretisch sind wohl unendlich viele Szenarien denkbar, neben noch viel mächtigeren Unendlichkeiten an unser Denkvermögen übersteigenden Möglichkeiten. Daß all dies nicht einfach unbegründet sei, wie manche Kritiker skeptischer Positionen meinen, offenbart sich im Bereich der Quantenphysik, die uns unglaublich Befremdliches über die sich zeigende Welt nahelegt.[7] Auch die Behauptung, ein eventuell illusorischer Charakter unserer Erlebniswelt sei irrelevant, solange man sich innerhalb derselben befinde, ist zurückzuweisen (vgl. dazu Abschnitt 5 „Praktische Konsequenzen“).

Es ist durchaus denkbar, daß wir schon im nächsten Moment in einer völlig anderen Realität „aufwachen“. Es könnte sein, daß aufgrund eines „Naturgesetzes“, das wir noch nicht kennen, da es bisher im uns zugänglichen „Universum“ noch nicht zum Tragen kam, plötzlich vom zuvor Beobachteten stark abweichende sonstige Gesetzmäßigkeiten gelten.[35]

Ja, obwohl sehr viele, darunter auch sehr gewichtige Argumente dagegen zu sprechen scheinen, kann es sein, daß plötzlich die Posaune erschallt und ein jüngstes Gericht ausgerufen wird. Gerade unter Biowissenschaftler, wie Richard Dawkins,[36] die sich meist kaum mit den Rätseln und Paradoxa der modernen Physik beschäftigt haben, ist ein Glaube im Geiste des Materialismus des 19. Jahrhunderts verbreitet, der aber meines Erachtens kaum mehr gerechtfertigt ist als eine andere religiöse Ansicht. Was ist nun die Konsequenz aus den bisherigen Überlegungen? Ein totaler Skeptizismus? Könnte man diesen aber ohne Selbstwiderspruch überhaupt vertreten, ohne daß er sich selbst aufhebt, da er seinen eigenen Anspruch unterminiert? Was bedeutet das alles für mein Tun und Lassen angesichts der in mir wahrgenommenen Vorlieben, Wünsche, Abneigungen und Ängste, die in Zukunft aber vielleicht andere sein könnten? Was bedeutet die Nichtfaßbarkeit des „ich“ in diesem Zusammenhang?

Da es, strenggenommen, kein Nichthandeln gibt, weil selbst tatenloses Herumsitzen eine Handlung mit Konsequenzen sein könnte, möchte ich nicht einfach unreflektiert bei reinem Achselzucken stehen bleiben. Andererseits ist ohne sicheres Wissen nicht ausgeschlossen, daß ich eine Wahl zu treffe, die ich später bedauere. Unter Umständen verspiele ich gerade eben entscheidende Chancen für meine zukünftige Existenz in einem mir jetzt noch völlig unzugänglichen Teil der Wirklichkeit. Wie also mache ich das Beste aus der momentanen Situation?

3.   Was bleibt bestehen?

Für die weiteren Überlegungen soll zunächst genauer untersucht werden, wie ich überhaupt in den vorhin geschilderten Zustand gelangt bin. Was gab und gibt mir Anlaß zu derartiger Ratlosigkeit?

Wenn ich meine verschiedenen Überzeugungen betrachte und mich frage, woher diese kommen, so drängt sich mir letztlich die Annahme auf, daß diese in Deutungen früherer Erlebnisse wurzeln, die mir nun teilweise mehr oder weniger detailliert in Erinnerungsempfindungen (bei mir vor allem und am intensivsten visueller Natur) präsent sind. Daher werde ich im Folgenden ganz bewußt Erlebnisse als Basis für eine Theorie der Erkenntnis heranziehen, auch wenn Popper dies mehrfach als „Psychologismus“ kritisierte,[37] sind doch die gewiß von meiner Psyche nicht unabhängigen Erfahrungen[38] nun einmal mein Zugang zur Welt und keine „a priori“ festgesetzte Erkenntnislogik.

Meine Erinnerungen beinhalten nun interessanterweise auch Erfahrungen, daß Sinneswahrnehmungen, noch mehr aber gerade dem Erinnern selbst eine gewisse Unverläßlichkeit anhaftet. Trotzdem basieren selbst grundlegendste sprachliche Begriffe wie Baum, Tisch etc., welche ja eigentlich Konstrukte zur Orientierung in der Wirklichkeit und in der Regel aus der sprachlichen Interaktion mit anderen Menschen übernommen sind, normalerweise auf Vorerlebnissen. Es ist dabei nicht so, daß Begriffe die sich zeigende (phänomenale) Wirklichkeit im Sinne einer klaren Zuordnung abbilden. Vielmehr handelt es sich um quasi mittels Versuch und Irrtum „erfundene“ Minihypothesen über das, was von anderen etwa mit „Baum“ gemeint sei, wobei diese Hypothesen sprachliche mit sinnlichen Elementen so verknüpfen, daß auch neue noch nie zuvor im Leben vorgekommene Individuen in der Regel in Baum oder Nicht-Baum eingeordnet werden können. Gerade deswegen enthalten die Begriffsmodelle allerdings ziemliche Unschärfen, was normalerweise erst in Grenzbereichen bewußt wird.[39] Da dies wohl eine notwendige Begleiterscheinung jeder empirisch sinnvoll anwendbaren Abstraktion ist, kann auch eine noch so exakte Wissenschaft gewisse Mehrdeutigkeiten nicht ganz vermeiden.[40] Ein „Begriffskonstrukt“ kann sich jedoch nicht nur auf Bäume der sinnlich erfahrenen Realität „beziehen“, sondern auch auf „Objekte“ einer Phantasiewelt, Elemente künstlerischer Konzepte oder computergenerierter virtueller Welten. Es gibt auch Begriffe, die sich auf etwas beziehen, was zumindest bislang noch nie in unserer alltäglichen Erfahrungswelt in Erscheinung getreten ist und wovon wir keinerlei konkrete Vorstellung haben, wie beispielsweise „Außerirdischer“. Obwohl es nicht sicher ist, daß in dem, was wir als „reale Außenwelt“ erleben, tatsächlich solche Wesen vorkommen, kann man meiner Meinung nach sagen, daß sich der Begriff auf sie bezieht, sollten extraterrestrische intelligente Lebensformen irgendwie Teil des sich uns als solches zeigenden „Universums“ sein.

Nun meinte Putnam in seinem vorhin zitierten Werk, daß sich Gehirne, denen in einem Tank von einem Supercomputer eine virtuelle Welt vorgegaukelt werde und die niemals etwas anderes kennengelernt hätten, noch jemals würden, sich begrifflich nicht ohne Verwicklung in logische Widersprüche auf jenen Tank beziehen könnten, in dem sie sich befinden, und es ihnen daher in einer vernunftgemäßen Weise nicht möglich wäre, anzunehmen, ein solches Szenarium könne sich auf sie selbst anwenden lassen.[33] Dies sehe ich jedoch nicht so. Denn ein Gehirn im Tank, das über das „Gehirn im Tank“-Szenarium nachdenkt, ist sich bewußt, daß der Tank, in dem es sich potentiell befinden könnte, nicht der Wirklichkeitsebene zugehören würde, der seine sonstigen Eindrücke entstammen. Wenn es nun die Vorstellung eines virtuellen Tankes mit darin enthaltenem virtuellen Gehirn und daran angeschlossenen virtuellen Computer, der quasi eine virtuelle Welt zweiter Stufe generiert, auf sich selbst anwendet, so bezieht das Subjekt jenes Gehirns die virtuelle Welt zweiter Stufe aus dem Szenarium auf die von ihm als real erlebte Welt und extrapoliert dann auf eine „realere“ Tankwelt, in der seine reale Welt nur mehr virtuell ist, in Analogie zum modellhaften Szenarium. Dieser gedankliche „Bezug“ ist momentan als Möglichkeit nicht sehr viel weniger gerechtfertigt, als jener auf „Außerirdische“.

Die „Wahrheit“ könnte in ähnlicher Weise als gedankliche Extrapolation eines Begriffskonstruktes gesehen werden, welches aus Erlebnissen mit Lüge oder Irrtum und deren Gegenteil stammt. Aus diesen kann zunächst ein pragmatischer Wahrheitsbegriff abgeleitet werden, der zum Beispiel dann anwendbar scheint, wenn bei der Aussage eines Gesprächspartners: „Vor der Tür steht ein gelbes Auto“, die von mir „erlebte Wirklichkeit“ (also meine sinnlichen Eindrücke) mir selbst diese sprachliche Beschreibung nahelegen würde. Man kann nun versuchen, die „Bezugnahme“ dieses begrifflichen Wahrheitsmodells von der „wahrgenommenen Welt“ auf die „Wirklichkeit an sich“ auszudehnen, wobei unklar ist, inwieweit das für uns Menschen durchführbar ist, selbst wenn wir tatsächlich über Möglichkeiten zur erkundenden Annäherung an letztere verfügten. Bereits in der modernen Physik des 20. Jahrhunderts scheint eine adäquate Gesamtbeschreibung der experimentellen Befunde die Fähigkeiten des menschlichen Geistes zum Teil zu übersteigen. Wie im Falle des Teilchen-Welle-Dualismus, der infolge von scheinbaren Widersprüchlichkeiten in der „sich zeigenden“ Wirklichkeit zumindest vorerst mehrheitlich akzeptiert wurde, könnte es sein, daß uns Menschen für eine tiefere Annäherung an die Wirklichkeit „an sich“ nur paradox erscheinende approximative Beschreibungen von Teilaspekten zur Verfügung stünden. Diese Schwierigkeiten deuten darauf hin, daß unsere Situation in mancherlei Hinsicht der von Gehirnen im Tank ähneln könnte.[41] Es gibt ja einige Hinweise dafür, daß die „Wirklichkeit“ erheblich von unseren durch die sinnliche Wahrnehmung geprägten Vorstellungen abweicht.[26] Gerade deshalb kann Putnams Ansicht, wir könnten alternative Szenarien zu einem fast naiven Realismus nicht ohne begriffliche Widersprüche auf uns selbst beziehen, nicht sinnvoll sein.

Die Wahrnehmung als solche ist jedoch, auch wenn sie täuschenden Charakter haben sollte, selbst ein Teilaspekt der Gesamtwirklichkeit und ihre begriffliche Repräsentation unter dieser Anspruchsbeschränkung ein Teilaspekt der „Wahrheit“. Insofern habe ich als Mensch zumindest eine gewisse Teilhabe an ihr, weil es wahr ist, daß „ich die Welt erlebe, wie sie sich mir in Form einer, wenngleich auch möglicherweise nur illusorischen Ich-Perspektive darbietet.“ Daher kann auch nur in Bezug auf das unmittelbar momentan Erlebte (und zwar so wie es sich einem zusammen mit eventuell irrigen Deutungen, Assoziationen, Erinnerungen etc. eben gerade darstellt) von „Wissen“ im strengsten Sinn des Wortes gesprochen werden. Alles „Wissen“, welches über das an den Augenblick gebundene äußerst bescheidene hinausgeht, ist im Grunde ein lebensnotwendig scheinender fester Glaube, der bloß in pragmatischer Weise als fast ebenso sicher behandelt wird.[42] In diesem Zusammenhang würde ich „Wahrhaftigkeit“ mit dem Bemühen um eine der erlebten Wirklichkeit insgesamt angemessene Haltung umschreiben. Wird dabei in besonderer Weise darauf geachtet, daß dies auch anderen, mir als solche begegnenden Subjekten nachvollziehbar scheint, so kann diesem persönlichen Streben „Wissenschaftlichkeit“ zugebilligt werden, wenngleich sich daraus kein brauchbarer Gradmesser für diese ableiten läßt.[43]

Beim Ringen um eine adäquate Reaktion auf das sich unmittelbar Zeigende scheinen irgendwie alle Lebewesen aus Vergangenem auf Gegenwärtiges oder Zukünftiges bzw. von Ähnlichkeiten auf analoge Einschätzbarkeit zu schließen.[44] Das beschränkt sich beim Menschen keineswegs nur auf das rationale Denken,[45] sondern erstreckt sich auch auf Emotionen wie etwa in besonderer Weise Ängste, die oft durch unbewußte subtile Anklänge auf frühere Erlebnisse ausgelöst werden. Offenbar werden unsere Vorstellungen und Erwartungen, ohne die wir Menschen uns in der Wirklichkeit nicht zurechtfinden könnten, aus kumulativ angesammelten und verarbeiteten, bewußten und (wie psychologische Experimente zeigen) unbewußten Eindrücken im Gedächtnis konstruiert.[46] Diese Konstruktionen können jedoch durchaus willkürliche Elemente enthalten und beliebigen Ursprungs sein. Daher dürfte Popper recht haben, wenn er der auf dem Alltagsverstand aufbauenden wissenschaftlichen Theoriebildung eine einfache formal induktive Grundlage abspricht.[47] Er unterschlägt aber den induktiven Charakter der einstweiligen Akzeptanz und Anwendung einer bislang sich bewährt habenden Theorie. Denn hier wird sehr wohl von der bisherigen Erfahrung mit einer wie auch immer zustande gekommenen Hypothese auf die Vernünftigkeit ihrer vorläufigen Beibehaltung geschlossen. Poppers Verrenkungen, um sich dem zu verschließen, sind geradezu grotesk.[48] Ohne die quasi „induktiv“[49] abgeleitete Hoffnung, daß eine Prüfung eventuell ein sinnvolles Kriterium für die zukünftige Weiterbehandlung einer Theorie liefern könnte, gibt es keinen einsichtigen Grund, eine solche zu fordern. Im Vorschlag, einer Prüfung von Hypothesen dienende „Basissätze“ formal rein willkürlich festzusetzen, manifestiert sich meines Erachtens eine überzogen dogmatische, ja geradezu skurrile Vermeidung der Induktion[50] (ebenso wie eine absurde Mißachtung der zugegebenermaßen subjektiven, psychologischen Phänomenen unterworfenen Erfahrung).

Wie bereits diskutiert, kann die Falsifikationsmethodik auch keine negativen Gewißheiten schaffen, weil sich sowohl die zur Widerlegung herangezogenen Basissätze wie auch die aufgestellten Falsifikationskriterien als mangelhaft erweisen können. Dennoch hat die Empfehlung, bestehende Theorien immer wieder an der Erlebniswirklichkeit zu testen, eine Berechtigung. Die „Entschuldigung“ für ein Vertrauen auf die Nützlichkeit dieser Praxis liegt selbst in der Erfahrung, die lehrt, daß es einerseits gut ist, seine Hypothesen wegen ihres Vorurteilscharakters dauernd neu an der erlebten Wirklichkeit herausfordernd zu prüfen und gegebenenfalls zu revidieren, daß andererseits die Falsifikation einer Falsifikation relativ selten auftritt, und auch dann die ursprünglichen Modelle meist einer Anpassung bedürfen, selbst wenn gewisse Kernaussagen rehabilitiert wurden.[51] Erfahrungen mit erlebten irrtumsbehafteten „Erfahrungen“ begründen quasi-induktiv eine kritisch vorsichtige Haltung. Es liegt also gewissermaßen ein Zirkel[52] vor, der aus eben jenen Erlebniseindrücken seine Legitimität bezieht, vor denen sich diese Haltung einstweilen zu bewähren scheint, selbst wenn man den Verallgemeinerungen, die zu ihrer Entstehung führten, im Hinblick auf ihre Rechtfertigung kein Gewicht zumißt. Natürlich kann auch die Hypothese vom hypothetischen Charakter aller Vorstellungen über die sich offenbart habende Wirklichkeit ihre eigene Vorurteilsbehaftetheit nicht leugnen. Deshalb ist die Idee, daß unser Wirklichkeitsverständnis ein Konstrukt sei, selbst ein eben solches. Sie unterliegt ihrer eigenen Forderung nach ständiger kritischer Hinterfragung und muß sich selbst als vorläufiges Urteil im Kontext einer umfassenden Welt- und Wirklichkeitsdeutung, als direkt aus dem Erleben entsprungenes Glaubensbekenntnis verstehen, das solange rational erscheint, wie trotz ehrlicher Suche keine besseren Alternativen gefunden werden. Im Gegensatz zur klassischen pyrrhonischen Skepsis führt der Selbstbezug hier zu keinem problematischen Widerspruch und sollte keineswegs in Russell'scher typentheoretischer Manier (unter Einführung von „Metaebenen“) eliminiert werden.[53]

Dem Anliegen nach Formulierung einer Methode näher könnte man meine Position auch als Arbeitshypothese betrachten, die beispielsweise wie folgt formuliert werden könnte:

Bemühungen, in der sich zeigenden Wirklichkeit irgendwelche allgemeine Gesetzmäßigkeiten zu finden und diese vorsichtig auf Erwartungen gegenüber Zukünftigem anzuwenden, sind unter der Einschränkung vorteilhaft, daß man Erfahrungen mit dem gelegentlichen Scheitern dieser Strategie insofern berücksichtigt, als man dabei gewonnenen Hypothesen einen gewissen Vorurteilscharakter zuschreibt und sie selbst und alle sich logisch ergebenden Folgerungen immer wieder entsprechend kritischer Prüfung unterzieht, ja sie ganz bewußt auf die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit abzutasten sucht.

In Übereinstimmung mit Popper kann die Formulierung einer Gesetzmäßigkeit jedoch nicht nur durch relativ simple Verallgemeinerungsschlüsse sondern auch unter Verwendung kreativer, geradezu künstlerischer Phantasie entsprungener Assoziationen erfolgen, wobei die daraus ableitbaren Konsequenzen an (auch künstlich in Experimenten provozierten) Erfahrungen weitestgehend überprüft werden können sollten. In manchen Fällen sind aber auch auf unnachvollziehbare Weise zustande gekommene Thesen akzeptabel, soweit sich diese anderen gegenüber als praktisch überlegen bewähren.

Um prognostisch gesehen möglichst leistungsfähige Theorien einerseits nicht unnötig zu verkomplizieren und damit ihre Vermittlung an andere, insbesondere Angehörige nachkommender Generationen zu erleichtern, sowie anderseits das Abdriften in zu sehr ausufernde Spekulationen zu vermeiden, sollte von konkurrierenden, bislang nicht widerlegten Hypothesen in der alltäglichen Praxis gewöhnlich jene bevorzugt werden, die einen eher geringen bzw. weniger wesentlichen Anteil an empirisch momentan unbelegbaren Behauptungen enthält. Diese Regel, welche unter dem Schlagwort „Ockhams Rasiermesser“[54] bekannt ist, stellt eine pragmatische Empfehlung dar, die jedoch nicht notwendigerweise mit der „Wahrheitsnähe“ korreliert.[55]

In Zusammenhang mit unvermeidbaren metaphysischen Annahmen sollten allerdings nicht nur im Hinblick auf ethische oder religiöse Fragen, sondern auch im Sinne der generellen Erhaltung einer Offenheit gegenüber radikal verschiedenen Deutungsansätzen stets weitere mögliche Szenarien im Auge behalten bzw. aktiv gesucht werden. Dies kann etwa hilfreich sein, wenn man sich wissenschaftlich in eine komplette Sackgasse verirrt hat.[56]

Natürlich ist die hier formulierte Arbeitshypothese nur so lange als vorteilhaft zu betrachten, wie sie sich selbst in der von ihr geforderten Weise gegenüber Alternativen bewährt. Statt eines „hypothetischen Realismus“[57] vertrete ich einen „hypothetischen, alle Metaphysik betreffenden Agnostizismus“, der von einem „kritischen Empirismus“ ausgeht, ergänzt und beschränkt durch einen wahrhaft „kritischen Rationalismus“[58] sowie einem sehr vorsichtig zurückhaltenden „kritischen Pragmatismus“, wobei „kritisch“ hier stets als „abwägend, einschränkend in Frage gestellt“ zu verstehen ist.

4.   Beeinflußte Freiheit?

Gegenwärtig dominierende Arbeitshypothesen von Psychobiologie und Neurowissenschaften legen uns nahe, daß sich alle Bewußtseinsvorgänge im Gehirn abbilden bzw. chemisch-physikalische Prozesse in jenem ihrerseits auf das Innenleben zurückwirken. (Man denke etwa an den Einfluß von Drogen etc.) Ob nun die materiellen Prozesse durch geistige Phänomene begleitet werden, oder sich immaterielle in der eventuell nur scheinbar existierenden Materie widerspiegeln, oder sonst eine Konstellation besteht, ist derzeit leider nur in rein spekulativer Weise beantwortbar. Die Entscheidung dieser metaphysischen Fragen ist jedoch für die Diskussion um den sogenannten „freien Willen“ nicht so wichtig, wie manche glauben, sondern wird erst bei Überlegungen über den Tod relevant.

Unter der Voraussetzung des für die menschliche Orientierung in der Welt offenbar fundamentalen Kausaldenkens, welches allerdings aus der Erfahrung von zumindest scheinbar Regeln gehorchenden Abläufen innerhalb der Wirklichkeit ebenfalls nur als quasi-induktive Vermutung abgeleitet werden kann,[44] ist nämlich folgendes zu bedenken: Entweder hat mein Wollen irgend einen Grund oder Ursache (im allgemeinsten Sinne eines in der umfassend, nicht nur physikalisch betrachteten Wirklichkeit gegebenen Zusammenhanges zu anderen Ereignissen innerhalb derselben),[59] seien es bisherige Erfahrungen, vererbte Anlagen, äußere Reize, zufällig sich verstärkende Ereignisse im Gehirn wie ein elektrischer Reiz durch einen ionisierenden radioaktiven Zerfall im Körper, Eingebungen göttlichen oder sonstigen transzendenten Ursprungs,[60] durch Karma bedingte Neigungen, Manipulationen aus anderen Wirklichkeitsebenen (wie etwa bei Gehirnen im Tank), etc. – oder aber mein Wollen hat zumindest manchmal binnen gewisser Grenzen keinerlei Grund oder Ursache. Dann ist es innerhalb jenes Rahmens völlig zufällig und ich ein (partieller) Zufallsgenerator. Allerdings läßt sich der Einfluß des Zufälligen, und sei es nur durch Fügungen einer insgesamt kontingenten deterministischen Welt vertreten, nicht ganz aus unserer Willensbildung eliminieren. Da aber auch kaum zu leugnen ist, daß unser Handeln zumindest zum Teil von dem geprägt sein dürfte, was uns bis dahin widerfahren ist, kann man wohl sagen, daß uns ein Zusammenspiel von „Zufall und Notwendigkeit“[61] bestimme.

Ob es quantenmechanische absolute Einzelzufälle gibt oder die Unvorhersagbarkeit von Quantenereignissen, mit der sich Wissenschaftler in verschiedenen Experimenten konfrontiert sehen, aus unzähligen Einflüssen durch Verschränkungen der Teilchen untereinander resultiert, sodaß das einzelne praktisch von Zustand des ganzen Universums abhängt[62] oder etwas ganz anderes hinter dem beobachteten Phänomen steht – dem Wirklichkeitsganzen kann, wie gesagt, in seinem Sosein ein Zufallscharakter nicht abgesprochen werden, und sei es, daß Gott oder eine sonstige hinter der scheinbaren Wirklichkeit liegende verborgene eigentliche Realität einfach so ist, wie sie ist, und deshalb uns alles so erscheint, wie es uns erscheint. Dabei könnten zwischen der sich „zeigenden“ und der „letzten“ Wirklichkeitsschicht unter Umständen auch mehrere Ebenen liegen. Daher ist uns letztlich alles von, wenn schon nicht vielem, so doch zumindest einem „ohne Grund“ (oder „Unbedingtem“) „zugefallen“, einschließlich unserer ganzen Persönlichkeit und Existenz. Daß unser Wille hier keine Ausnahme macht, fügt sich gut ins Gesamtbild. Ein „freier“ Anteil am Willen, der weder von Einflüssen abhängig noch (partiell) zufällig ist, übersteigt meinen derzeitigen Vorstellungshorizont. Daher deute ich auch mein eigenes Innenleben als Teil einer letzten Endes unbegreiflichen Wirklichkeit. Zugegebenermaßen ist dieses Selbstverständnis ebenso ein Glaube im Sinne des vorigen Abschnittes.

Überträgt man diese Überlegungen in Anbetracht der biblischen These vom Menschen als „Abbild“ Gottes auf den „göttlichen Willen“, so stellt sich der Unterschied zwischen Schöpfung und Evolution vielleicht als etwas weniger fundamental dar.

5.   Praktische Konsequenzen

Wenn ich mir eingehend ins Bewußtsein rufe, daß die in mir vorhandenen sinnlichen Eindrücke, Gefühle und Gedanken, sowie Wünsche und das daraus resultierende Wollen, daß das, was mein „ich“ also prägt, letztlich aus einem Zusammenspiel von Zufall und Notwendigkeit gegeben und dies vermutlich bei anderen Wesen, insbesondere meinen Mitmenschen ebenso sei, so wird dadurch eine, zuvor in mir intuitiv vorhandene Auffassung in Frage gestellt, nämlich jene, mich und meine Mitmenschen als „quasi absolut agierende“ Subjekte oder Personen zu begreifen. Im Zuge solcher Reflexionen ändert sich aber nicht nur die Selbstwahrnehmung sondern auch viele andere Einstellungen, was in der Folge das resultierende Wollen ebenfalls beeinflußt. Der gesamte Nachdenkprozeß kann dabei nur durch wiederholte Schleifen (iterativ) zu einer einstweiligen inneren Konsistenz geführt werden. Dieser fast ein wenig schwindelerregende Vorgang ist Teil jener Realität, die mir zufällt und mich gleichzeitig formt. Wieder ist ein zirkulärer Selbstbezug essentiell und man sollte nicht versuchen diesen aus der Betrachtung zu eliminieren. Bei der hier geschilderten kritischen Hinterfragung der Bedingtheit von Handlungen und Handlungsgründen könnten jedoch eventuell bereits vorhandene Modelle aus spirituellen Traditionen, Psychologie und Soziologie hilfreich sein.

Das aufkommende Verständnis der eigenen existentiellen Abhängigkeit von gegebenen Umständen, welches keineswegs an ein konkretes Weltbild wie zum Beispiel einen reduktionistischen Naturalismus gebunden ist, – dieses Verständnis, das nur auf einem sehr breit aufgefaßten Konzept von Kausalität[63] beruht, birgt allerdings die Gefahr einer etwas zu fatalistischen Auslegung, trotz des Hinweises,[61] daß dies keineswegs die Leugnung rationaler Handlungsgründe bedeutet. Die Behauptung, daß aus Beobachtungen dessen, was der Fall sei, (also aus der reinen Beschreibung) kein Schluß auf das, was sein oder getan werden sollte, (also Wünsche oder Imperative), möglich sei, – jene Behauptung (das sogenannte Hume'sche Gesetz) ist für ein wollendes Subjekt schlicht nicht zutreffend. Mag sein, daß diese Ansicht für den Stein am Mond, dem alles egal scheint, gilt, wenn überhaupt. (Vertreter des Animismus oder Panpsychismus würden vielleicht sogar das in Abrede stellen.)

Allem Anschein nach gehört nämlich zum, wie vorhin aufgezeigt, nicht statisch oder isoliert von seiner Umwelt zu betrachtenden „Sein“ eines Menschen oder auch Tieres ein jeweilig persönliches, strebendes „Wollen“, aus dem sich zusammen mit gewissen „Gegebenheiten“ der übrigen Wirklichkeit (von erkenntnis-theoretischen Problemen, die alle „Fakten“ betreffen, abgesehen) „objektiv“ zuschreibbare Interessen dieses Wesens ergeben, denen aus der subjektiven Perspektive ein „Sollen“ entspricht, wenn wir vom grundsätzlichen, nicht normativen, epistemologischen Problem des Fremdpsychischen einmal absehen.[64]

Interessen, die von allem „Seienden“ oder dessen „Wurzeln“ geteilt werden, etwa universelle platonische Werte oder ein normativ wirkender göttlicher Wille, sind aber zugegebenermaßen momentan nicht erkennbar, jedenfalls nicht in unbezweifelbarer Weise.

Aus der subjektiven Innenperspektive geht aber aufgrund des in mir erlebten Wollens aus meiner momentanen Art des „Menschseins“ nicht nur ein „Sollen“ im Sinne von Wünschen hervor, sondern auch die Sinnhaftigkeit eines Bemühens um eine „nach bestem Wissen und Gewissen“ erfolgversprechende Handlungsweise. Auch wenn es schicksalhaften Charakter hat, daß sich zum Beispiel ein die Warnungen der Mutter ignorierendes Kind die Finger an der Herdplatte verbrennt, wäre es für eine Person angesichts ihres eigenen, gewiß von allerlei Bedingungen abhängigen Interesses völlig unangebracht, sehenden Auges eine Dummheit zu begehen und sich nicht anzustrengen, das zum jenem Zeitpunkt in einer möglichst umfassenden Sicht wünschenswert Erscheinende anzustreben.

Das einzige was in rationaler Weise zurückgewiesen werden kann, ist ein retrospektives Grübeln über die eigenen Fehler und aufgetretene Akrasie,[65] soweit sich daraus keine Schlüsse für eine bessere Vorgehensweise in der Zukunft ableiten lassen. Diese Nachsicht gegenüber seinem vergangenen Handeln oder gegenüber anderen Personen (in Vergangenheit und Gegenwart) kann jedoch kein Argument für Nachlässigkeit im Hinblick auf eine gegenwärtige eigene vernunftbemühte Entschlossenheit sein, weil es im konkreten wie übertragenen Sinn schlicht eine schmerzhafte Torheit wäre, in voller Kenntnis der Sachlage auf die heiße Herdplatte zu greifen und gleichzeitig zu wollen, sich nicht zu verbrennen, ohne daß man sich durch besondere außergewöhnliche Umstände dazu gezwungen sehen würde.

Zugegebenermaßen unterliegt die innere Haltung dabei irgendwie der Gefahr in eine ähnliche Zwickmühle zu gelangen wie die „Sei spontan“-Paradoxie,[1] da ich mich nicht gleichzeitig emotional einem „Zusammenspiel von Zufall und Notwendigkeit“ ausgeliefert fühlen und völlig unbeeinträchtigt aktiv um möglichst vernünftiges Handeln streben kann. Eine analoge Situation ist in einem englischen Gedicht über einen Tausendfüßler, der sich nicht mehr fortbewegen konnte, als er zuviel darüber nachdachte, wie er eigentlich angesichts seiner vielen Beine laufen könne, ganz amüsant beschrieben.[66]

In diesem Kontext können uns eventuell das buddhistische Konzept der Leerheit (sunyata) oder die Zen-Praxis vage Anregungen liefern. Meiner Ansicht nach lehren diese Traditionen jedoch auch jede Menge Unsinn.[67] Insbesondere möchte ich vor der Idee eines Erwachens oder einer Erleuchtung im Sinne eines direkten intuitiven Zugangs zur „wahren Realität“ warnen. Dieser Gedanke steht in totalem Gegensatz zu meinem agnostischen Ansatz.[68] Ich schätze an den Lehren des Buddhas nur gewisse Aspekte, wie die Einsicht in die Unbeständigkeit und Bedingtheit von allem einschließlich der eignen Persönlichkeit, weil dies mit meinen Erfahrungen übereinstimmt. Dazu kommen einige Empfehlungen, wie wir mit dieser Erkenntnis in einer gelassenen und achtsamen Weise umgehen können.

Die grundsätzlichen Überlegungen über die Gebundenheit der Sein/Sollen-Wechselbeziehung an die Existenz eines wollenden Subjektes können auch auf ethische Haltungen angewendet werden. Im gewissen Sinne sind ethische Ansichten ebenso vorurteilsbehaftete Hypothesen wie alle anderen Thesen, nur daß neben Erwartungen hinsichtlich der Außenwelt auch „innere“ Eindrücke wie Ängste, Präferenzen, Wünsche etc. und deren Bewertung (Verarbeitung bzw. Einordnung auf einer Metaebene, der unter Umständen weitere Instanzen übergeordnet sein können) einfließen. Normative Schlußfolgerungen dürften daher entgegen Humes Ansicht sehr wohl direkt jenem Verstand, der auch rein deskriptive „Außenwelteindrücke“ verarbeitet, zuzuordnen sein. (Das dürfte ein Grund sein, warum es so schwer ist, wirklich wissenschaftlich wertneutral zu arbeiten.)

Wegen der zusätzlichen „inneren“ Anteile sind moralische Appelle jedoch in noch viel stärkerem Ausmaß an eine subjektive Perspektive gebunden, und müssen deshalb die vermutlichen Einstellungen und Interessen der Adressaten glaubhaft mitberücksichtigen, um für diese akzeptabel zu sein.[69] Aus den gegeneinander abgewogenen gemeinsamen Interessen der Mehrzahl der Menschen kann auf diese Weise eine gesellschaftliche Norm legitimiert werden, welche dann eben aus dem momentanen „So-Sein“ dieser Menschen resultiert. Diese Norm kann freilich im Widerspruch zu echten Interessen einer Minderheit stehen und unterliegt überdies in der Praxis im Hinblick auf die ihr zugrunde gelegten Voraussetzungen wie alle Hypothesen der Möglichkeit von Irrtümern.[70]

Ein metaphysischer Schuldbegriff, der unter anderem vielen Religionen so wichtig schien, wird durch einen nicht mehr absolut gesetzten Willensbegriff aber eigentlich unhaltbar. In einer modernen säkularen Demokratie liegt deshalb die Rechtfertigung für staatliche Strafjustizmaßnahmen allein in Spezial- und Generalpräventionen oder einer Beteiligung der Täter an der Aufarbeitung der Konsequenzen ihrer Taten zugunsten der Geschädigten. Diese Strafen haben jedoch trotz aller Berechtigung wie vieles im Leben einen gewissen „Schicksalscharakter“. Das gilt ebenso für Reaktionen der Mitmenschen ausgelöst von Gefühlen, wie Gerechtigkeitssinn, Mitleid, aber auch Rache, Neid etc., welche selbst die Justiz immer wieder beeinflussen und die vermutlich quasi als „soziale Regulatoren“ fungieren, um ein dem Gemeinwohl zuträgliches Verhalten zu begünstigen und die zweifellos gegebenen Unterschiede bei Intelligenz und Schlauheit in ihrer Wirkung abzumildern.[71] Ihre Existenz ist neben der Sprache und vielem anderem ein Hinweis darauf, daß wir Menschen in höchstem Maße auf ein Zusammenleben mit unseresgleichen angelegt sind,[72] weshalb die meisten Menschen nur bei dessen Gelingen wahrhaft glücklich werden dürften, während allzu egoistische Befriedigungen langfristig oft einen „schalen Nachgeschmack“ hinterlassen.

Daher tut ein Gemeinwesen gut daran, im Sinne des sozialen Friedens den Begabteren, Fleißigeren oder sonst Erfolgreicheren zwar ein gewisses Maß an Vorteilen zu gewähren, weil potentiell alle von deren Errungenschaften profitieren, ihnen aber im Interesse der Gesamtgesellschaft auch Grenzen zu setzen, um Einseitigkeiten und Ausbeutung zu verhindern. Eine gewiß fragwürdige biologistische Argumentation könnte ins Treffen führen, daß durch das Sichern von Chancen der momentan weniger Erfolgreichen die Vielfalt oder „Diversität“ innerhalb der menschlichen Kultur gewahrt werde, die für neue, heute noch nicht absehbare Herausforderungen der Zukunft vorteilhaft sein könnte. Mir als Teil der Gesellschaft, der jeden Tag Unvorhergesehenem ausgeliefert ist, und dem daher jederzeit vom Schicksal der Erfolg und die Möglichkeit der Selbsthilfe genommen werden kann, ist eine Demokratie mit Gewaltentrennung, die die Willkür der momentan in welcher Hinsicht auch immer Durchsetzungsfähigeren beschränkt, eine Art von Versicherung für die Aufrechterhaltung einer gewissen Respektierung meiner menschlichen Grundanliegen. Dies ist auch ein guter Grund, einen allgemeinen Konsens hinsichtlich der Verbindlichkeit der Menschenrechte zu unterstützen.[73]

Persönliche Überlegungen bilden darüber hinaus gute Argumente für einen solidarischen Sozialstaat, für die Versorgung bei Arbeitslosigkeit, sonstiger Armut, Krankheit und Alter, aber auch für die Sicherung von Chancengleichheit im Bildungsbereich und im Hinblick auf wirtschaftliche Möglichkeiten. Die Ungewißheit in bezug darauf, ob mein Handeln nicht doch irgendwann, zum Beispiel nach dem Tod (etwa in einem Jenseits oder bei einer Wiedergeburt), schwerwiegende, noch nicht absehbare Folgen für mich nach sich zieht, könnte vielleicht eine zusätzliche Motivation bilden, mich weitgehend tatsächlich so zu verhalten, wie ich es momentan ehrlicherweise für richtig halte. Denn selbst wenn ich geirrt haben sollte, kann ich mir dann zumindest sagen, in gutem Glauben gehandelt zu haben. Alles andere liegt jenseits meiner derzeit ersichtlichen Möglichkeiten. Darum ist ein kritischer, stets neu hinterfragter und an der erlebten Erfahrung geprüfter, sich seines eigenen unsicheren Charakters voll bewußter Glaube, der sich zu grundsätzlichem Nichtwissen bekennt und einstweilen nur Annahmen macht, soweit sie für ein Handeln in diesem Sinne unumgänglich sind, eine vernünftige Haltung. Im Gegensatz zu weitverbreiteten religiösen Glaubenspositionen, die vorgeben mehr zu wissen, als eine ehrliche Wahrhaftigkeit zuläßt, drängt mich meine Überzeugung dazu, meine fundamentale Unwissenheit offen einzugestehen und in der Zwischenzeit nur solche Annahmen zu machen, die für ein Handeln unter diesen Umständen unumgänglich sind. Diese Einstellung kann mich zum Beispiel davon abhalten, mein Leben einseitig auf der Basis völlig ungesicherter Vermutungen (etwa religiöser, metaphysischer oder sonstiger philosophisch-spekulativer Art) zu gestalten.

Es folgt daraus aber auch, daß in der Wissenschaft nicht, wie bisher manchmal behauptet, ein methodischer Atheismus herrschen soll, sondern ein zumindest im Prinzip alle Metaphysik einschließender Agnostizismus. Einer seriösen Wissenschaft geziemt es, sich alle Zeit dessen bewußt zu sein, daß ihre Modelle wegen deren stets nur vorläufiger Bewährung quasi-Vorurteile sind und daher anhand der erlebten Wirklichkeit immer wieder kritisch hinterfragt werden müssen. Metaphysische Annahmen sollten zwar so sparsam wie möglich verwendet werden, ganz ohne sie ist aber, so meine Erfahrung, ebenfalls nicht auszukommen, enthalten doch viele alltägliche Begriffe eben solche. Manche Theorien der Kosmologie, Biologie und Physik, aber auch anderer Wissenschaften gleichen jedoch in ihrem spekulativen Charakter bereits sehr viel mehr religiösen Deutungen der Welt als in ständiger Anwendung bewährten Hypothesen, wobei es zugegebenermaßen einen fließenden Übergang zwischen beiden Extremen geben dürfte. Deshalb sollte stets über Alternativvorstellungen nachgedacht, und für die alltägliche Praxis eine Vorgehensweise bevorzugt werden, die von durch die Erfahrung kaum gedeckten Mutmaßungen am geringsten abhängt bzw. insbesondere bei Grundsatzfragen die gegebene Unentschiedenheit am besten berücksichtigt.[56] Das gilt auch für persönliche Lebensentscheidungen und nicht zuletzt im religiösen Bereich.

6.   Religion

Der Glaube daran, daß selbst aus Erfahrung abgeleitete Thesen nur vorläufige Vermutungen sind, bildet die Grundlage für eine bescheidene, demütige Spiritualität der Offenheit gegenüber unendlich vielen, unterschiedlichsten transzendenten Möglichkeiten. Eine solche Haltung versucht die eigenen, stets selbst in Frage stehenden Erkenntnisgrenzen der Wahrhaftigkeit wegen zumindest vorläufig zu akzeptieren, aus pragmatischen Gründen in der allerdings unsicheren Hoffnung, daß die Wirklichkeit im letzten irgendwie annehmbar sei, um die Kraft zu finden, den eigenen Lebensweg in einer momentan vertretbar, ja vielleicht sogar „gut“ erscheinenden Weise gehen zu können.

Trotz alldem muß ein kritischer Agnostiker nicht indifferent gegenüber anderen Überzeugungen sein. Auch wenn ich meine eigene Irrtumsmöglichkeit einräume, bedeutet das nicht, daß ich unbegründete oder zumindest ungenügend gerechtfertigte religiöse Haltungen als gleichwertig stehen lassen muß. Ich kann Andersgläubige auffordern, mir ihre Anschauungen mit einsichtigen Argumenten darzulegen. Für den Fall, daß mir diese in Anbetracht meiner Lebenserfahrungen nicht einleuchtend oder gar völlig abzulehnend scheinen, sehe ich mich aber durchaus berechtigt, eventuell sogar moralisch verpflichtet, zu versuchen, meine Position anderen nahezubringen, soweit mich nicht anderweitige ethische Überlegungen zumindest einstweilen davon Abstand nehmen lassen. Es ist also nicht vernünftig, irgendeiner konkreten unzureichend begründeten metaphysischen oder religiösen Behauptung gegenüber in dem Sinne agnostisch zu sein, daß man dieser mehr Gewicht beimißt als unendlich vielen in gleichem Maße spekulativen Alternativen. Doch dies gilt genauso für jede naturalistische Position, da der a priori Ausschluß von anderen Wirklichkeitsebenen, wie sie etwa religiöse Traditionen postulieren ebenfalls eine rein willkürliche Annahme ist.

Das viel beschworene Rasiermesser Ockhams ist eine je nach Situation mehr oder weniger sinnvolle pragmatische Empfehlung, die jedoch im Bereich der puren metaphysischen Spekulation keinem (oft unter Unterschlagung oder unbewußter Ignorierung impliziter Annahmen) zumindest oberflächlich „schlanker“ wirkenden Ansatz prinzipiell höhere Legitimität verleihen kann, da die Wissenschaftsgeschichte nicht zuletzt auch am Beispiel der moderner Physik gezeigt hat, daß die Verhältnisse durchaus komplexer und unerwarteter sein können, als zuvor vermutet.[54] Daher können nicht einfach alle Vorstellungen, daß es jenseits der „natürlichen“ eventuell verborgene Wirklichkeitsebenen, die zumindest in entferntem Sinne irgendwelchen religiösen Postulaten ähneln, gäbe, von vorne herein verworfen werden.

In Diskussionen mit Atheisten über frühere Versionen dieses Textes wurde von jenen des öfteren auf Bertrand Russells Analogie mit einer extraterrestrischen Teekanne aus Porzellan, die zwischen Erde und Mars kreise, verwiesen.[74] In verzerrender enger Auslegung interpretieren sie dabei jeden Agnostizismus als quasi „neutrale“ Haltung, die jedoch bei Behauptungen ohne empirischen oder logisch-vernünftigen Anhaltspunkt, wie z. B. der Gottesthese aller bekannten Religionen, nicht adäquat sei. Sonst müßte man nämlich auch hypothetische Existenzbehauptungen in Bezug auf den Weihnachtsmann, den Osterhasen, ein fliegendes Spagettimonster, Einhörnern usw., sobald diese nur geschickt genug in gegen Widerlegungen immunisierender Art formuliert werden, auch als völlig unentscheidbar und in gewissem Ausmaß ernstzunehmend stehen lassen.

Nun gibt es zwar tatsächlich keinen guten Grund dafür, anzunehmen, daß eine Teekanne zwischen Erde und Mars um die Sonne kreist, aber Russell wäre vielleicht verblüfft, wie teekannenähnlich das teekannenähnlichste Objekt in diesem Bereich ist, selbst wenn es höchstwahrscheinlich nicht aus Porzellan besteht. Noch besser liegen die Chancen, wenn man nicht nur den kleinen Asteroidenanteil zwischen Erde und Mars sondern alle extraterrestrischen nicht von Lebewesen stammende Objekte in unserem Sonnensystem oder unserer Galaxie berücksichtigt, ganz zu schweigen vom gesamten Universum. Zugegebenermaßen wäre dabei die Definition für eine Ähnlichkeitsrangordnung wohl nicht ohne gewisse Willkür festlegbar.

Aus diesem Einwand ergibt sich sicher nicht, daß wir getrost die Annahme einer nach alltäglichem Sprachgebrauch „normalen“ Teekanne nichthumanen Ursprungs dort draußen im Weltraum als vernünftige Hypothese bewerten können. Aber wir sollten uns hüten, allzu enge Vorstellungen darüber zu hegen, was in rationaler Weise als unmöglich auszuschließen ist. Hätte man einen Physiker des 19. Jahrhunderts mit Thesen, die Konzepte wie „gekrümmte Raumzeit“, „Zeitdilatation“, „Welle-Teilchen-Dualismus“, „Quanten-Superposition“, etc. enthalten, konfrontiert, so hätte er dies wohl als verrückten Unsinn abgetan. Wie der einstige klassische Materialismus so könnte sich aber auch ein an aktuelle Theorien angepaßter Naturalismus als eine zu einfache naive Ansicht über die Wirklichkeit entpuppen.

Ich war immer wieder erstaunt, wie verbissen und geradezu „missionarisch“ manche Atheisten ihren Glauben verteidigten und sich wie ihre religiösen Kontrahenten jeglichen rationalen Argumenten, die ihren Standpunkt in Frage stellten, schlicht verschlossen.

Da wir jedoch durch viel zu reiche Leute, wie Ray Kurzweil und viele andere mit naturalistisch-technischen Unsterblichkeitsphantasien[75] (im Umfeld von Kryonik, Cyborg-Überlegungen etc.) auf dem besten Weg in eine dystopische Totalüberwachungsgesellschaft sind, halte ich den Hinweis auf mögliche verborgene Dimensionen des Daseins im Allgemeinen und des Lebens im Besonderen für gesellschaftspolitisch dringend notwendig. Wie schon erwähnt, wäre es durchaus wünschenswert, wenn die Eliten dieser Erde Konsequenzen ihres Handels nach einem infolge unberechenbarer Umstände ständig drohenden Tod nicht gänzlich ausschlössen.[31]

Da jedoch institutionalisierte Religionen eine ausgeprägt Tendenz haben, ethisches Verhalten im Sinne eines allgemeineren Humanismus, durch rituelle Praktiken quasi zu substituieren oder kompensieren, sind deren unhaltbare Ansprüche natürlich auch zurückzuweisen. Wurden und werden doch auch gerade im Geiste einer ideologisch-religiösen Haltung unzählige Verbrechen begangen, weshalb Kants Postulat der Unsterblichkeit der Seele (in einem mehr oder weniger christlichen Verständnis) und der Existenz Gottes aus Gründen der reinen praktischen Vernunft zur Stützung der Sittlichkeit durchaus fragwürdig ist.[76]

Dies ist nicht das einzig Problematische an Kants Ethik. Zunächst macht er nämlich aus der goldenen Regel, die durchaus auch rein kontraktualistisch (im Sinne eines fiktiven Vertrag zwischen allen Menschen) verstanden werden kann (vgl. meine Argumente für die Menschenrechte, den Sozialstaat etc.) ein starres formales Prinzip in Form des sogenannten kategorischen Imperativ, der von allem konkreten Wollen losgelöst ist, was ich für falsch halte, weshalb es für mich prinzipiell nur hypothetische Imperative gibt. Beispiel für die Verrücktheit dieser Vorgehensweise ist seine Ablehnung einer Notlüge gegenüber einem potentiellen Mörder, der fragt ob sich eine gewisse Person im Haus versteckt habe.

Weil er darüber hinaus im Gegensatz zu meinen Verweisen auf das momentane So-Sein oder die Natur der Menschen, die jedoch nur wie andere Gegebenheiten in der Welt als Teil der Randbedingungen für vernünftiges Handeln und nicht im Sinne einer metaphysischen Naturethik zu verstehen sind, aber auch jede Neigung als Moralbegründung ablehnt, mußte er wohl feststellen, daß es seiner Ethik an Motivation mangelt. Daher wirft Kant, obwohl er überzeugt ist, daß ein Weiterleben nach dem Tod oder die Existenz Gottes nicht belegbar ist, genau jene verbindliche Wahrhaftigkeit, die ihm angeblich jede Notlüge verbietet, über Bord und schlägt allen Ernstes vor, sein obskures Sittlichkeitsverständnis dadurch abzusichern, daß er nicht nur die aus meiner Sicht ohnehin nicht widerspruchsfrei denkbare Willensfreiheit sondern auch die Unsterblichkeit zur Ermöglichung der Erreichung höchster Vollkommenheit und Gott als Garant einer Übereinstimmung von Sittlichkeit und Glückseligkeit einfach postuliert.

Auch wenn man es unter dem Deckmantel des „Was kann ich hoffen?“ verschleiern kann, letztlich läuft es doch darauf hinaus, einem Wunschdenken zu folgen und sich dadurch zu motivieren, daß man so tut als ob. Dies halte ich aber jedoch für derart vernunftwidrig wie ein unzureichend begründetes Greifen auf eine heiße Herdplatte bei gleichzeitigem Wunsch, sich nicht zu verbrennen. Genauso sind höchste sittliche Wahrhaftigkeit und auch durch noch so durch geschraubte Formulierungen verbrämtes rein spekulatives Wunschdenken unvereinbar. Wenn es so ist, daß wir, wie in diesem Aufsatz darzulegen versucht wird, letztlich gezwungen sind, auf der Basis einer enormen metaphysischen Ungewißheit zu handeln, dann kann redlicherweise auch nur diese existentiell erlebte Bedingung selbst als Motivation herangezogen werden, um sich und andere zum Beispiel davon abzuhalten, quasi als moralische Trittbrettfahrer zu agieren.

Daß dies zusammen mit den vorhandenen, aber unzureichenden moralischen Veranlagungen in der Praxis so halbwegs ausreichen kann, soll am Ende des nun folgenden religionskritischen Abschnittes noch einmal verdeutlicht werden. Im Gegensatz zu Kant kann ich jedoch keine Vollkommenheit garantieren, dazu wäre mein fallibilistischer, Hypothesen-basierter Ansatz sowohl in bezug auf Annahmen über das, was der Fall sei, als auch im Hinblick darauf, wie man am Besten handeln solle, ohnehin grundsätzlich nicht in der Lage. Für die kritische Diskussion eines relativ abstrakten philosophischen Gottesbegriffes verweise ich in diesem Zusammenhang auf ein Werk von John Leslie Mackie,[77] auch wenn ich sehr vieles dort Vorgebrachte nicht teile.

Meiner ursprünglichen Religion, dem Christentum, stehe ich zur Zeit sehr distanziert gegenüber. Das Alte Testament zeigt eine brutale Volksideologie mit einem Gott in Form eines patriarchalischen orientalischen Herrschers. In der Thora, dem „heiligsten“ Teil der Schrift aus jüdischer Sicht, ordnen Mose und oder gar Gott in eigener Person mehrfach Völkermord mit ausdrücklicher Vernichtung von Unterworfenen unter Einschluß von Frauen, männlichen Kindern und Greisen an.[78] Auf unsinnige Grausamkeiten im jüdischen Gesetz will ich nicht näher eingehen, ebensowenig auf den bei den Propheten und sonst immer wieder auftauchenden intoleranten, eifer- und rachsüchtigen Tyrannengott. Auch der angeblich liebende himmlische Vater des Jesus von Nazareth hinderte diesen nicht daran, seinen moralischen Appellen mit massiven, zum Teil grotesken Drohungen Nachdruck zu verleihen. Im großen und ganzen scheint mir die Lehre Jesu nicht wirklich überzeugend. Sie enthält neben einigen durchaus inspirierenden weisen Elementen und etlichen Trivialitäten viele von mir nicht geteilte Ansichten.[79] Auch wenn die Authentizität oft ziemlich fraglich ist, so wirft zumindest die Überlieferung ein eher zweifelhaftes Licht auf die angebliche Gottessohnschaft Jesu. Darüber hinaus beinhalten die Evangelien jede Menge Wunderlegenden, die für mich aber, weil völlig unnachprüfbar, vielmehr eher im Gegensatz zu meinen eigenen Lebenserfahrungen stehend, nichts zur Legitimation des Anspruches „Christi“ beitragen. Wunderereignisse werden auch in vielen anderen zum Teil einander erheblich widersprechenden Traditionen behauptet.

So schließe ich entsprechend meiner agnostischen Grundhaltung auch die angebliche fleischliche Auferstehung Christi aus dem Grab zwar nicht völlig aus, halte aber nach Abwägung des für und wider dieses angebliche einzigartige historische Ereignis für eher unwahrscheinlich. Im Gegensatz dazu befürchte ich meinem pessimistischen Charakter entsprechend, daß der Tod womöglich nicht das definitive Ende ist, ein wahres Ruhen in einem bewußtlosen Frieden ohne Sorge oder Schmerz.

Die im Verlauf von bislang etwa 2000 Jahren historisch überlieferten „Früchte“ des Christentums sprechen auch nicht gerade für die irgendwie anachronistische mythenbehaftete Religion,[80] deren Kult um die Person Jesu manchmal sogar im Vergleich mit Sektenbewegungen moderner Gurus übertrieben wirkt. An Gottes Stelle wären mir die Lobhudeleien in den Psalmen, anderen Bibelstellen und vielen Gebeten der Kirche eher peinlich. Obgleich ich zugeben muß, daß mir vielleicht der nötige Einblick fehlt, denke ich doch, daß ein wahrer Gott derartiges nicht notwendig haben sollte. Einige behaupten, daß diese frommen Praktiken in Wahrheit den Gläubigen selbst dienen, um Reife und Weisheit zu erlangen. Aber sind fanatische Frömmler tatsächlich besser als demütig zweifelnde Agnostiker? Dem nicht genug tendieren Jesus und sein himmlischer Vater der Überlieferung nach ziemlich schnell dazu, sich von nicht anbetenden Ungläubigen beleidigt zu fühlen, und drohen ihnen mit schweren Bestrafungen, wenn sie gewissen Lehren nicht glauben, die allerdings aus aufrichtiger menschlicher Perspektive zumindest genausogut völlig falsch sein könnten.[81] Der im Neuen Testament immer wieder verlangte praktisch blinde Glaube ist mit meinem momentanen Verständnis von Wahrhaftigkeit nicht vereinbar und in meinen Augen daher strenggenommen sogar unethisch![82]

Soweit ich dies beurteilen kann, erscheint mir der Islam durch und durch ein von dem angeblichen „Propheten“ Mohamed aus vorgefundenen Fragmenten der jüdischen, christlichen und altarabischen Traditionen zusammengebasteltes Flickwerk.[83] Bis heute bewahren islamische Gemeinschaften Elemente in ihren Lehren, die ich zutiefst ablehne, wie z. B. jene über den sogenannten heiligen Krieg oder eine für heutige Verhältnisse besonders starke Diskriminierung von Frauen. Selbstverständlich gibt es in dieser Religion auch Positives. Dazu würde ich durchaus das Meiden von Rauschmitteln wie Alkohol zählen oder manches aus der Sufi-Mystik.[84]

Den Hinduismus betrachte ich als eine Mythologie, die unter anderem der Oberschicht Indiens dazu dient, mit dem Kastenwesen ihre gesellschaftlichen Ansprüche aufrecht zu erhalten. Aber natürlich sollen wertvolle Aspekte nicht verschwiegen werden, etwa Methoden, wie Yoga etc., oder philosophische Reflexionen, wie sie in den Upanischaden oder der Advaitalehre enthalten sind, welche Anregungen für mannigfaltige weitere Wirklichkeitsdeutungen bieten, ebenso wie die Wiedergeburtslehre eine mögliche Alternative zu völliger Vernichtung des Bewußtseins im Tod oder jenseitigen Weiterlebensformen ins Spiel bringt.[85]

Beim Buddhismus halte ich die immer wieder vorgebrachte These, dieser sei mehr eine Philosophie denn eine Religion,[36] für unhaltbar, und zwar nicht nur angesichts eines wenn auch im Vergleich zu etlichen hinduistischen Traditionen durch die „Anatta“-Lehre (über das „Nicht-Selbst“) quasi „entmythologisierten“ Karma- und Wiedergeburtsglaubens. Die angebliche Lösung des Leidensproblems durch Entsagung jeglicher Begierden scheint mir in der vertretenen Radikalität und Absolutsetzung (vgl. die dritte edle Wahrheit)[30] nicht ohne Selbstwiderspruch möglich, denn auch dem übenden Streben nach Seelenruhe liegt ein Begehren zugrunde.[86] (Die seltsamen Versuche Zen-buddhistischer Traditionen, dieses Paradoxon zu umgehen, erwecken in mir nicht gerade den Eindruck echter Aufrichtigkeit.)[87] Einem vernünftigen Infragestellen und gezielten Einbremsen des stetigen, oft bereits nach nur kurzen Zufriedenheitsphasen neu aufflammenden Wunscherfüllungsstrebens kann ich aber durchaus etwas abgewinnen. In diesem Zusammenhang dürften manche Meditationsübungen und sonstige Überlieferungen wertvolle Elemente der Lebensgestaltung bieten.

Darüber hinaus bevorzuge ich die Betonung des Mitgefühls in der Ethik, weil ich mit dem Begriff der Liebe, wie er im Christentum dominiert, erhebliche Probleme habe, da dieser Verschiedenes in unklarerer Weise zu vereinen scheint. (Selbst in Paarbeziehungen führt der Liebesbegriff oft zu seltsamen Vermischungen von mitfühlender Sorge für den anderen und besitzergreifenden Manipulationen zur Befriedigung wichtiger eigener emotionaler Bedürfnisse, darunter zum Beispiel ein Sicherheit vermittelndes Geborgenheitsgefühl. Die ehrliche Aufgliederung dieser Aspekte unter Vermeidung des unglücklichen Wortes „Liebe“ würde einen bewußten, fairen Kompromiß in der Gestaltung einer Beziehung möglicherweise erleichtern.)

Die Lehre von der Leerheit (sunyata) ist angesichts der quantenphysikalischen Experimente zur Teilchenverschränkung eine interessante Idee.[26] Die buddhistischen Vorstellungen vom illusionären Charakter des „ich“ sind mir wie bereits erwähnt zumindest nicht ganz fremd. Aber die Behauptung des Buddhismus, daß jemand in dieser Welt unwiderruflich zu einer vollkommen erleuchtenden Erkenntnis gelangt sei, ist mir eher suspekt. Sich ein derart hochgestecktes Ziel zu setzen, ist gerade angesichts der Unbeständigkeit, die der Buddha sonst so betonte, nicht sinnvoll. Selbst eine durch jahrelange Übung erzielte Gemütsruhe und inneren Frieden stiftende Geisteshaltung ist in diesem Leben wohl niemals gänzlich vor dem Verlust durch Demenz wie Alzheimer und anderen neurologischen oder psychischen Erkrankungen, ja sogar durch unglückliche Kopfverletzungen, sicher.[88] Ungewiß ist auch, ob das Erlangte jenseits des Todes noch weiterhilft. Ich möchte in diesem Zusammenhang keineswegs den Wert einer meditativen Lebensgestaltung an sich in Frage stellen, sondern nur eine übertriebene Hoffnung, dadurch sei eine endgültige Selbsterlösung mit Bestimmtheit zu erreichen. Daher finde ich die kritische Haltung von Stephen Batchelor ungenügend und bin weit davon entfernt, mich auch nur in seinem verwässerten Sinne als Buddhist zu verstehen.[89] Wenngleich mir in etlichen Belangen buddhistische Ansichten näher liegen als christliche, tendiere ich zur Einstellung, daß eine „Erlösung“ keine eigene Errungenschaft, sondern ein mir, von wem oder was auch immer, letztlich grundlos zufallendes Geschenk wäre, betrachte ich doch mein eigenes Wollen bereits in diesem Sinne.

Indessen scheinen mir auch viele, oft angeblich von östlichen Traditionen abgeleitete, aber nichtsdestotrotz dem in modernen Gesellschaften üblichen Konsumdenken verhaftete „Esoterikströmungen“ sehr fragwürdig. Häufig werden in diesen Lehren und Praktiken die verbreiteten Betäubungsstrategien einer Eventkultur, die irgendwelchen sinnlichen Eindrücken durch Medien, Reisen, Drogen etc. nachjagt, nur unter einem anderen Mäntelchen fortgeführt. Musik sei in diesem Kontext besonders hervorgehoben, ist sie doch wegen ihrer Allgegenwärtigkeit zur Plage geworden ist. Mag sein, daß sie früher bisweilen ein Luxus war, heute ist hingegen in vielen Gegenden die Stille überwiegend zu einem Privileg der Wohlhabenden geworden, die sich die Option, sich vom Lärm und einer unfreiwilligen Beschallung durch andere zurückzuziehen, noch leisten können. Manche halten es aber in völliger Stille auch gar nicht mehr aus und verwechseln „Meditationsmusik“ mit ihr, weil sie ohne Berieselung unruhig werden.

Nicht nur im Hinblick auf Umweltschutzaspekte ist für mich kaum ein Unterschied zwischen jenen, die immerfort zu „spirituellen“ Orten, Meistern oder Veranstaltungen pilgern und der dem gewöhnlichen Reisewahn frönenden Masse. Wer seine „Mitte“ nicht in vernünftiger Nähe zu seinem gewöhnlichen Lebensmittelpunkt findet, findet sie in der Ferne meist ebensowenig.

Die vielen vielleicht zu nüchtern erscheinende „Besinnung“ auf den achtsam wahrnehmenden Kontakt mit der nicht besonderen, gewöhnlichen, sich zeigenden Wirklichkeit bildete gemeinsam mit hinreichender Ruhe die Grundlage für eine den hier vorgebrachten Gedanken angemessene Haltung. Diese Vorliebe für das, wie sich herausstellte, nicht minder geheimnisvolle Profane hängt gewiß mit meiner Enttäuschung in Bezug auf die Tragfähigkeit des angeblich allein zählenden Heiligen zusammen.

Es ist nicht ausgeschlossen, daß ich mit meinem agnostischen Glauben im Unrecht bin und dies später bedaure. Nur sehe ich zur Zeit keine ehrliche, vernünftige Möglichkeit, mich einfach einer Tradition anzuschließen, ohne mich quasi gegen die Wahrhaftigkeit zu „versündigen“. Darüber hinaus, welcher sollte ich den Vorzug geben, dem Christentum, nur weil ich in dieses sozusagen hineingeboren wurde? Sollte Jesus tatsächlich der Sohn Gottes sein und mein ehrliches Bemühen, ein Leben aus der echten Überzeugung einer religiösen Ungewißheit in einigermaßen verantwortlicher Weise zu führen, beim jüngsten Gericht als den entscheidenden Grund für meine Verdammung heranziehen, so würde ich ihm aus mangelnder Ehrfurcht vor der Wahrhaftigkeit auch zutrauen, gläubige Christen über's Ohr zu hauen.

Die berühmte Wette von Blaise Pascal,[90] doch einfach auf den christlichen, eigentlich katholischen Gott zu setzen, weil es da eine ewige Seligkeit zu gewinnen aber nur wenig zu verlieren gäbe, beinhaltet sehr viele Annahmen. Die Hinzunahme weiterer Optionen, wie z. B. die eines Gottes, der Jenseitsspekulantentum verabscheut, läßt sein Wettenargument zusammenbrechen.[77],[91] Hat vor diesem Hintergrund ein unehrlich oder in irrationaler Weise Glaubender tatsächlich mehr Grund zum Vertrauen in die Wirklichkeit als ein redlicher „Ungläubiger“?[92] Vor einer willkürlichen göttlichen Instanz ist keiner sicher, daher bleibe ich lieber meiner echten Überzeugung treu. Dann kann ich mir immerhin sagen, mich für das damals von mir für das beste Gehaltene entschieden zu haben.[93] Momentan scheint mir vieles dafür zu sprechen, daß die mir bekannten Religionen mindestens so falsch liegen wie ein naiver Atheismus. Meine „Überzeugung“ ist also nicht als „neutrale“ Haltung zu verstehen.[94]

7.   Leben als agnostisch Glaubende

Es wäre schön, wenn sich Gemeinschaften finden würden, in denen der Glaube an das Nichtwissen in bezug auf das Geheimnis hinter der sich zeigenden Wirklichkeit, miteinander weiter durchgedacht und auch in neuen spirituellen Formen gelebt werden könnte. Meine persönlichen Präferenzen gehen in Richtung einer Religionsgemeinschaft oder vielleicht besser einer philosophischen Schule, die einen achtsamen, am Erleben der „Wirklichkeit“ orientierten Agnostizismus pflegt. Obgleich darin Meditation ein wichtiges Element bilden sollte, ginge es im Unterschied zum Buddhismus nicht um das Streben nach „Erleuchtung“, sondern nur um den bescheidenen Versuch, eine zumindest vorläufig einigermaßen befriedigende innere Haltung sich selbst, anderen und der „Welt“ gegenüber zu finden. Wie in sorgfältiger Wissenschaft sollten kritisch gegeneinander abgewogene Erfahrungen das Fundament jenes Glaubens bilden, welcher jedoch nie als „Wissen“ verstanden werden sollte. Das heißt nicht, daß wertvolle Anregungen nicht aus verschiedensten Quellen übernommen werden können. Diese müssen sich jedoch dann in der Prüfung an je eigenen Erfahrungen bewähren, behalten aber selbst im günstigsten Falle stets ihren hypothetischen Charakter.

Zum Programm derartiger Glaubensvereinigungen sollte im Hinblick auf die Umsetzung einer integeren, der Wahrhaftigkeit verpflichteten Lebensgestaltung auch ein gesellschaftliches Engagement gehören, etwa für eine nachhaltige Lebensweise und eine Ethik des Mitgefühls. Dies impliziert beispielsweise ein bewußter Verzicht auf unnötigen Konsum, der oftmals nur durch Werbepropaganda induziert wurde oder sich aus einem irrationalen mimetischen Begehren speist.[95] Um die systematische Wegwerfkultur beenden zu können, muß der Forderung nach besser reparaturfähigen und recyclebaren langlebigen Gebrauchsgütern Nachdruck verliehen werden. Es braucht eine massive Kampagne gegen die geplante Obsoleszenz, die teilweise in subtiler Weise praktisch alle wirtschaftlichen Versorgungsketten durchdrungen hat, einschließlich des B2B-Sektors.[96]

Eine weitere Verschwendung von Ressourcen betrifft die Nahrungsmittel. Von einem weltweit agierenden Agrobusiness und einer nachfolgenden Verarbeitungsindustrie werden riesige Mengen von teilweise sogar ungesunden Produkten auf den Markt geworfen. Während die rücksichtslose Ausbeutung von Mensch und Natur massive irreparable Kollateralschäden verursacht, landet ein nicht unerheblicher Anteil des Ausstoßes im Müll. Daher sollte Ernährung nicht nur im Hinblick auf die Gesundheit sondern auch auf ökologische Belange, sozialer Gerechtigkeit und Tierwohl beurteilt werden. Lokales saisonales Obst und Gemüse sowie sparsamer Konsum von Produkten tierischer Herkunft aus artgerechter Haltung sollten bevorzugt werden, neben ein paar ergänzenden Fair Trade Produkten aus der Ferne.[97]

Im für unser Wohlbefinden so wichtigen psychisch-sozialen Bereich fehlen meinem Eindruck nach Innovationen in Ergänzung zur naturwissenschaftlich geprägten Technik, ohne die wir Menschen im Wahn einer sinnlosen Gier unsere eigene Lebensgrundlage zu vernichten scheinen und trotz eines enormen Ressourcenverbrauchs nur eine dazu vergleichsweise bescheidene Lebensqualität erzielen.[98]

Als etwas exotisches Beispiel aus der Pädagogik sei das Kontinuumskonzept von Jean Liedloff angeführt.[99] Allerdings ist die Interpretation der sehr idyllisch klingenden Schilderungen[100] dieser autodidaktischen Ethnologin in der vorgebrachten Form (wie so manche „evolutionäre“ Theorien) eher als Mythos zu betrachten. Sollten sorgfältige empirische Studien an Kleinkindern, die in der von ihr vorgeschlagenen Weise ansonst aber in mit anderen Kindern vergleichbaren Verhältnissen aufgewachsen sind, tatsächlich die prognostizierten Effekte auf deren Lebenseinstellung und Zufriedenheit mit einer beeindruckenden statistischen Signifikanz[101] dokumentieren, so spricht nichts dagegen, Teile aus diesem Konzept vorläufig in die Erziehungsmethoden einzubeziehen. Allerdings wäre auch zu untersuchen welche Elemente sich langfristig wirklich als günstig erweisen und ob nicht eine völlig andere Deutung sinnvoll möglich wäre.

Der Beziehung zwischen den Geschlechtern würde wohl eine Reduktion der Erwartungen auf beiden Seiten gut tun. Nicht nur der Mythos der Romantik und die Rollenbilder, mit denen die Kosmetik- und Modeindustrie,[102] aber auch Medienkonzerne (durch Magazine, Filme etc.) Geschäfte machen, scheinen mir einem zufriedenstellenden Zusammenleben eher abträglich, auch feministisch geprägte Idealvorste1llungen können die Beteiligten überfordern, zumal diese manchmal recht Widersprüchliches beinhalten und kaum einem realistischen Menschenbild (sowohl Männer wie Frauen betreffend) entsprechen. Als Vorbilder für eine gute Partnerschaft könnten, wenn überhaupt, allenfalls jene älteren Paare dienen, denen es gelungen scheint, einander trotz aller Schwächen und Gegensätze verständnisvoll anzunehmen, und zwar in einer beidseitig fairen Weise, was extrem selten so sein dürfte. Obwohl ich denke, daß heute das Zusammenleben oft zu leichtfertig aufgegeben wird und seitens der Gesellschaft Paartherapien und dergleichen unterstützt werden sollten, kann ein Scheitern von Lebensgemeinschaften nicht ausgeschlossen werden. In manchen Fällen ist eine Trennung einfach das geringere Übel, weshalb ich dafür im Gegensatz zum Standpunkt des Jesus von Nazareth menschlich einigermaßen akzeptable Regelungen für notwendig erachte.

Angesichts des Scheiterns so mancher Utopien ist bei Gesellschaftsfragen allerdings eine besonders vorsichtige, ständig revisionsbereite Einstellung angesagt. Dennoch glaube ich, daß beispielsweise eine sozialere Gestaltung der Wirtschaft durchaus möglich ist. Wichtige Ansätze lägen bereits darin, einer demokratisch legitimierten Politik wieder mehr Gestaltungsraum zurückzugeben, indem durch ein strenges Kartellrecht, einer ab einer Freigrenze exponentiell progressiven Besteuerung des Besitzes und strikten absoluten Vermögensobergrenzen der bedrohlich um sich greifenden Plutokratie Einhalt geboten wird. Der Grundsatz „Teile und herrsche!“ ist in diesem Zusammenhang essentiell für das Überleben der Demokratie, da sie sonst an Korruption[103] und einem übermächtigen Einfluß von Lobbyisten mit teilweise undurchsichtigen Geldgebern im Hintergrund erstickt.

Weiters zeichnen sich bereits massive Konflikte aufgrund von Ungerechtigkeiten im Welthandel mit Rohstoffen aber auch Fertigprodukten ab. Die Ausbeutung von Umwelt und Menschen in benachteiligten Regionen der Erde wird früher oder später auch der Mehrzahl der Menschen in den jetzt noch „reichen“ Gesellschaften schaden, weil sie eine Dumpingspirale aus Wettbewerbsgründen und Ressourcenkriege begünstigt.

Letztlich dürfte nur eine kleine durchaus sehr bunte Minderheit profitieren, die zahlenmäßig nur wenige Millionen Personen aus so unterschiedlichen Gruppen, wie Aristokraten, Industriellenfamilien, Emporkömmlingen aus der „New Economy“, Mafiosi, Oligarchen aus dem ehemaligen Ostblock, Ölscheichs, einige Diktatoren und ihre Günstlinge, hochrangige Mitglieder der chinesischen kommunistischen Partei, etc. umfaßt.[104]

Anstatt die Freihandelsideologie weiter zu verfolgen, die in der Wirtschaft teilweise das Recht des Stärkeren in dunkelsten Ausprägungen begünstigt, sollte die Europäische Union schrittweise unter Einhaltung gewisser Übergangsfristen hohe soziale und ökologische Mindeststandards für alle Produkte und Dienstleistungen auf dem europäischen Binnenmarkt etablieren, unabhängig davon, ob sie innerhalb oder außerhalb der Union produziert bzw. erbracht werden.[105] Die Europäer können China oder andere Großmächte nicht zwingen, Umweltschutz oder Arbeitnehmer- bzw. Menschenrechte im Allgemeinen zu achten. Umgekehrt sollten wir aber anderen nicht erlauben, Güter und Dienstleistungen auf dem europäischen Markt anzubieten, die unseren in heuchlerischen Sonntagsreden oft beschworenen Werten widersprechen. Dies ist jedoch nicht als Befürwortung eines neuen eigennützigen Protektionismus zu verstehen, vielmehr sollten die Regeln so formuliert werden, daß die europäische Ausbeutung des Rests der Welt gestoppt und wirklich gerechte Tauschverhältnisse implementiert werden. Die dazu erforderliche Kontrolle könnte sich auf Stichproben und ein System, das fairen Mitanbietern auf dem Weltmarkt erleichtert, schwarze Schafe zu melden, beschränken.

Da durchschnittliche Menschen sowohl altruistisch-soziale als auch egoistisch-rücksichtslose Züge aufweisen, deren Dominanz zeitlichen Schwankungen unterliegt, ganz zu schweigen von der charakterlichen Variabilität in einer Gesamtbevölkerung, sind vom Gemeinwesen vorgegebenen und mit geeigneten Mitteln durchgesetzte Spielregeln unabdingbar, zumal es, wie bereits angedeutet, Schlauere und weniger Schlaue gibt. Selbst in manchmal verklärt dargestellten Gesellschaften ohne Geldwesen existieren soziale Mechanismen oder drastischer formuliert Druckmittel, die der Gemeinschaft dienendes Verhalten fördern, zu sehr abträgliches aber sanktionieren. In allen Bereichen, ob in Arbeitnehmer- und Konsumentenschutzbelangen, in der Bildung oder in der Gesundheits- und Altersversorgung, sollte das Gemeinwesen stets darauf achten, daß einzelne Akteure andere nicht unmäßig übervorteilen, und so die grundsätzliche Gleichheit aller Menschen in bezug auf Recht und Würde einigermaßen gewahrt bleibt. Schließlich weiß niemand, ob er oder sie nicht schon morgen selbst eines solchen Beistandes bedarf.[106] Auf eine mysteriöse „unsichtbare Hand“ ist dabei, wie in der Vergangenheit zu beobachten war, keinerlei Verlaß. Vielmehr muß eine demokratisch legitimierte und damit der Mehrzahl der Gesellschaftsmitglieder verpflichtete Politik[107] die Spielregeln ständig aus der Erfahrung heraus neu anpassen, um Fehlentwicklungen entgegenzutreten.

Der Aufbau einer wirklich seriösen Alternative zum unhaltbaren jetzigen System bedürfte also einiger Knochenarbeit nach dem Beispiel einer naturwissenschaftlichen Vorgangsweise, die Neuansätze stets an empirischen Befunden zu prüfen sucht.[108] Vor allem müßten aus politischen Visionen zuerst konkrete exakt ausformulierte Gesetzesvorschläge erstellt und diese einer strengen kontroversiellen interdisziplinären Diskussion (von Experten der Wirtschafts- und Rechtswissenschaften, aber auch Soziologie, Psychologie etc. auf universitärer Ebene) unterworfen werden. Erst nach einer Läuterung durch eine derartige Debatte, die zahlreiche Argumente pro und kontra vieler Alternativen und Details ins Bewußtsein treten ließe, könnten daraus resultierende Entwürfe von der Allgemeinbevölkerung oder einem „Konvent“ sinnvoll gegeneinander abgewogen werden. Selbst dann ist natürlich nicht garantiert, daß keine massiven Fehlentscheidungen auftreten, die bald wieder revidiert werden müssen.

Die hier vertretene wachsam-kritische Lebenshaltung ist somit auch wesentlich für die Erhaltung der Freiheit, im Sinne einer emanzipatorischen Behauptung gegenüber unfairen Manipulationen durch den „Willen“ anderer. Diese Freiheit bildet aber die Grundlage und ein Ziel der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.[109] Von einem solchen sinnvollen Begriff der Freiheit, die nicht zuletzt auch durch einen Mißbrauch neurowissenschaftlicher Forschungsergebnisse in Gefahr geraten könnte, wird durch die Diskussion über die widersprüchliche metaphysische „Willensfreiheit“ abgelenkt.

Als kritischer Agnostiker bin ich mir der Fraglichkeit jeder Position bewußt. Im Gegensatz zur Lehre der pyrrhonischen Skepsis halte ich nicht alle Ansichten für „gleich-gültig“. Ich glaube, daß es möglicherweise nicht egal ist, wie ich lebe, und eben darin gründet sich mein Bemühen um eine momentan der sich mir offenbarenden Wirklichkeit (insgesamt) angemessen scheinende Haltung, die ich mit Wahrhaftigkeit bezeichnet habe. Sie unterscheidet sich von einem Zynismus, der verborgen unter dem Deckmantel eines scheinbar interesselosen Relativismus bei Skeptikern oft vorherrscht.

Trotzdem steht mein „wahrhaftiger Glaube“ in der Tradition der antiken Skepsis. Ich habe diese in gewisser Weise an die Spitze getrieben, indem ich aus einer axiomatisch verstandenen Methode eine bloße Glaubensüberzeugung gemacht habe, die selbst immer irgendwie zur Disposition steht. Die Annahme eines Glaubens stellt allerdings eine Art Häresie gegen einen sauberen Skeptizismus dar, nicht die einzige, da ich mir auch gestatte, nicht stets in der unparteiischen Mitte zwischen verschiedenen Überzeugungen zu verharren, was ohnehin unmöglich ist, weil es die absolut neutrale Position oft gar nicht gibt. So bilde ich auf Basis meines momentanen Gesamteindruckes von der sich mir scheinbar zeigenden Welt vorläufige Meinungen („Hypothesen“, oder schärfer ausgedrückt „Vorurteile“). Dies erachte ich auch angesichts der erwähnten Unmöglichkeit eines absolut folgenlosen „Nichthandels“ schlicht als eine Lebensnotwendigkeit.

Ich hoffe, daß diese Darstellung meines Ringens um eine tragfähige Lebensgestaltung, trotz aller Mängel, anderen einen kleinen Anstoß gibt, zu etwas, das im Gegenzug wiederum auch mir weiterhilft.

In diesem Zusammenhang möchte ich mich bei all jenen bedanken, die mir durch kritische Anmerkungen bereits geholfen haben, und zwar nicht nur dabei, mißverständliche Formulierungen klarzustellen, sondern auch eindeutige Denkfehler in vorherigen Ausgaben zu revidieren.

 

8.   Referenzen und Anmerkungen

 

[1] Watzlawick, Paul; Beavin, Janet H.; Jackson, Don D.; Menschliche Kommunikation, 8. Auflage, Verlag Hans Huber: Bern 1969/1990. [<] [< Querv.]

 

[2] z.B.: Watzlawick, Paul (Hrsg.); Die erfundene Wirklichkeit, 6. Auflage, R. Piper & Co. Verlag: München 1981/1990. [<] [< Querv.]

 

[3] Popper, Karl R.; Auf der Suche nach einer besseren Welt, 5. Auflage, R. Piper & Co. Verlag: München 1984/1990. [<] [< Querv.]

 

[4] Popper, Karl R.; Logik der Forschung, 7. Auflage, J.C.B. Mohr (Paul Siebeck): Tübingen 1982. [<] [< Querv.]

 

[5] Feyerabend, Paul; Wider den Methodenzwang, Suhrkamp Verlag: Frankfurt am Main 1983/1986. [<] [< Querv.]

 

[6] vgl. Nagel, Thomas; Was bedeutet das alles? Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG: Stuttgart 1990/2000. [<]

 

[7] vgl. z. B. Rae, Alastair; Quantenphysik: Illusion oder Realität, Philipp Reclam jun. GmbH & Co.: Stuttgart 1996. [<] [< Querv.]

 

[8] vgl. auch Riedl, Rupert; Biologie der Erkenntnis, 2. Auflage, Verlag Paul Parey: Berlin/Hamburg 1980. [<]

 

[9] Popper, Karl R.; Objektive Erkenntnis, Hoffmann und Campe Verlag: Hamburg 1973/1974. [<]

 

[10] Poser, Hans; Wissenschaftstheorie, Philipp Reclam jun. GmbH & Co.: Stuttgart 2001. [<]

 

[11] vgl. Seiffert, Helmut; Radnitzky, Gerard; Handlexikon zur Wissenschaftstheorie, Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG: München 1992, Artikel zu „Falsifizierbarkeit, zwei Bedeutungen von“ bzw. Popper, Karl R.; Logik der Forschung, 7. Auflage, J.C.B. Mohr (Paul Siebeck): Tübingen 1982. Popper erwähnt nicht nur die Möglichkeit von mehr oder weniger gerechtfertigten Ad-hoc-Hypothesen, sondern gibt auch Probleme mit Definitionen oder der Verläßlichkeit von scheinbar falsifizierenden Beobachtungen explizit zu. [<]

 

[12] Tatsächlich gibt es momentan derartige molekulargenetische Bedenken nicht beim schwarzen Trauerschwan, sondern beim weißen Coscorobaschwan, der aber auch im Phänotyp einige Besonderheiten aufweist (vgl. Artikel zu „Schwäne“ bei https://de.wikipedia.org). [<]

 

[13] Im Folgenden werden wir sehen, daß das Kriterium der Falsifizierbarkeit gewöhnlich von Hilfshypothesen abhängt, was ebenfalls Probleme schaffen kann. Darüber hinaus hängen falsifizierende Aussagen nicht nur von möglicherweise irrtumsbehafteten Beobachtungen im engeren Sinn ab, sondern auch von Zusatzannahmen, z. B. daß die Beobachtung nicht durch andere unbekannte oder vernachlässigte Effekte beeinflußt wurde. So sieht etwa ein weißer Schwan rötlich aus wenn er von einfallenden roten Lichtstrahlen getroffen wird. [<]

 

[14] vgl. Young, Hugh D.;University Physics, 8th Ed., Addison-Wesley Publishing Company Inc.: Reading, Massachusetts 1992. [<]

 

[15] Einer nicht unberechtigten Sichtweise zufolge können Quantenobjekte als etwas betrachtet werden, das weder eine „echte“ Welle noch ein „echtes“ Teilchen ist. Daher könnte man die Verwendung dieser Begriffe in diesem Kontext auch ablehnen. [<]

 

[16] Wenn man nicht zumindest einen konkreten Weg (oder mehrere Optionen, die jedenfalls einen Weg offenlassen) zur Implementierung einer behaupteten Falsifizierbarkeit angeben kann, dann gibt es keinen Grund überhaupt von einer gegebenen Falsifizierbarkeit einer bestimmten Hypothese zu sprechen. [<]

 

[17] vgl. Popper, Karl R.; Logik der Forschung, 7. Auflage, J.C.B. Mohr (Paul Siebeck): Tübingen 1982, Anhang XIV. [<]

 

[18] vgl. Popper, Karl R.; Logik der Forschung, 7. Auflage, J.C.B. Mohr (Paul Siebeck): Tübingen 1982. Popper ist in seiner Argumentation etwas unklar, da er für eine hinreichende Falsifikation explizit eine reproduzierbare „empirische Hypothese niedriger Allgemeinstufe“ verlangt, die ihrerseits durch Basissätze gestützt werden muß. Sind solche „Hypothese niedriger Allgemeinstufe“ nicht so etwas wie „Theorien niedriger Allgemeinstufe“, wie ich oben eingewandt habe? Müssen wir nicht zumindest vorläufig ihre Adäquatheit als Kriterium in vermutender Weise annehmen, um mit ihnen überhaupt einen Falsifikationsversuch unternehmen zu können? [<]

 

[19] vgl. Artikel zu „Duhem-Quine-These“ bei https://de.wikipedia.org. [<]

 

[20] Chalmers, Alan F.; Wege der Wissenschaft, 6. Auflage, Springer-Verlag: Berlin/Heidelberg 2007. [<]

 

[21] vgl. Popper, Karl R.; Logik der Forschung, 7. Auflage, J.C.B. Mohr (Paul Siebeck): Tübingen 1982, Anhang XV oder Popper, Karl R.; Objektive Erkenntnis, Hoffmann und Campe Verlag: Hamburg 1973/1974. [<]

 

[22] Einstein, Albert; Mein Weltbild, Seelig Carl (Hrsg.), Ullstein Taschenbuchverlag: München 2001. Das bedeutet natürlich nicht, daß etwa das im geschilderten Fall auftretende „Mischungsvolumen“ nicht mit einem komplexeren mathematischen Modell beschreibbar wäre. [<]

 

[23] vgl. Hofstadter, Douglas R.; Gödel, Escher, Bach, ein Endloses Geflochtenes Band, 12. Auflage, Ernst Klett Verlage GmbH & Co. KG: Stuttgart 1985/1989. [<]

 

[24] vgl. Salmon, Wesley C.; Logik, Philipp Reclam jun. GmbH & Co.: Stuttgart 1983/2006. [<]

 

[25] Die Definition, daß eine Person oder Sache sich als ganze in einem Raum befinden muß, damit sie als dort anwesend gelte, würde allerdings bedeuten, daß sich eine Person im zwischen zwei Räumen liegenden Schwellenbereich quasi „nirgendwo“ aufhalten würde. Fordert man, daß sich mehr als 50% im Raum befinden müssen, so reduziert sich die Zahl der undefinierten Zustände zwar erheblich, dennoch gibt es (zumindest nach klassisch-physikalischer Betrachtung) immer noch unendlich viele betroffene Konstellationen (verschiedener Orientierungen und Körperhaltungen). Die Definition, daß für den Aufenthalt in einem Raum bereits ein winziger Teil genüge, führt zwar, dazu daß nun für all jene Zustände, die im ersten Fall keinem Aufenthaltsort zugeordnet waren, die gleichzeitige Anwesenheit in beiden Räumen gilt, doch scheint dies die dem Alltagsverstand trotzdem noch einsichtigste Variante. [<]

 

[26] vgl. Zeilinger, Anton; Einsteins Spuk, Wilhelm Goldmann Verlag: München 2007. [<] [< Querv.1] [< Querv.2]

 

[27] vgl. Russell, Bertrand; Probleme der Philosophie, 3. Auflage, Suhrkamp Verlag: Frankfurt am Main 1967/1969. [<]

 

[28] Descartes, René; Meditationes de Prima philosophia. Lateinisch/Deutsch, Philipp Reclam jun. GmbH & Co.: Stuttgart 1986/1999. [<]

 

[29] Zu denken, das sich beim Denken selbst als denkend wahrnehmende ich-Erlebnis fände in Wahrheit überhaupt nicht statt, würde wohl als performativ widersprüchlich zu werten sein. (vgl. Hintikka, Jaako; Cogito, Ergo sum: Inference or Performance? In: Philosophical Review, Vol. 71, No. 1, Jan., 1962, 3–32.) Doch Descartes versucht darüber hinausgehend aus einem eventuell nur durch das Zusammenspiel verschiedener Phänomene gebildeten Geschehen, ein hinter diesem Geschehen stehendes Ding abzuleiten, das nicht der „genius malignus“ selbst sei. [<]

 

[30] Buddha, Gautama Die vier edlen Wahrheiten, Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG: München 1985. [<] [< Querv.]

 

[31] Das Offenlassen der Möglichkeit einer „Wiedergeburt“ eines nackten Wesenskernes völlig ohne verbleibende Charaktereigenschaften, persönliche Präferenzen etc. – also nur des bloßen erlebenden inneren Beobachters – erhebt den in der ethischen Debatte von Rawls ins Spiel gebrachten rein theoretischen Urzustand unter dem Schleier des Nichtwissens (vgl. Rawls, John; Eine Theorie der Gerechtigkeit, Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft: Frankfurt am Main 1979.) zu einem nicht mehr ganz auszuschließenden Realszenarium. Wie würde unsere Welt aussehen, wenn die Mächtigen mit der Möglichkeit rechnen würden, eventuell irgendwo in den benachteiligtsten Regionen und Bevölkerungsschichten oder als Nutztiere in Massenhaltung reinkarniert zu werden? [<] [< Querv.]

 

[32] Chuang, Chou; Das wahre Buch vom südlichen Blütenland, Eugen Dietrichs Verlag GmbH & Co. KG: München 1969/1988. [<]

 

[33] Putnam, Hilary; Vernunft, Wahrheit und Geschichte; Suhrkamp Verlag GmbH & Co. KG: Frankfurt am Main 1982. [<] [< Querv.]

 

[34] Baggott, Jim; Matrix oder Wie wirklich ist die Wirklichkeit, Rowohlt-Taschenbuch-Verlag: Reinbek bei Hamburg 2007. [<]

 

[35] Weil es, wie eben ausgeführt, unendlich viele Möglichkeiten gibt, ist eine alltägliche pragmatische Herangehensweise auf induktiv gewonnene Vermutungen auf der Basis vergangener „irdischer“ Erfahrungen angewiesen. [<]

 

[36] Dawkins, Richard; Der Gotteswahn, 3. Auflage, Ullstein Buchverlage GmbH: Berlin 2006/2007. Aus der „Rätselhaftigkeit“ und „Seltsamkeit“ der Quantentheorie zieht Dawkins keine wirklich weitreichenden Folgerungen. [<] [< Querv.]

 

[37] Bitte zu beachten, daß Poppers Verwendung des Begriffes „Psychologismus“ von der allgemeinen Konvention abweicht. vgl. Popper, Karl R.; Logik der Forschung, 7. Auflage, J.C.B. Mohr (Paul Siebeck): Tübingen 1982 und Artikel „Psychologismus“ bei https://de.wikipedia.org. [<]

 

[38] vgl. z. B. die Thesen des radikalen Konstruktivismus in Abschnitt 2. [<]

 

[39] Dazu vielleicht eine Anekdote aus meiner Kindheit. Ich kann mich noch gut an jene Zeit erinnern, in der ich den Gesprächen der Erwachsenen nur sehr unzureichend folgen konnte. Da die Gefäße, aus denen heiße Getränke wie Kaffee oder Tee getrunken werden, in der österreichischen Umgangssprache meist als „Häferl“ bezeichnet werden, kannte ich lange Zeit den Begriff Tasse nicht. Untertassen wurden normalerweise nur bei besonderen Anlässen, wenn Gäste da waren, verwendet. Aus welchen Gründen auch immer war mir bei der Bezeichnung „Untertasse“ der Wortteil „Unter-“ entgangen, sodaß ich das Wort „Tasse“ mit Untertassen verband. Ich war dann im Kindergarten sehr betroffen, als sich mein Irrtum aufklärte. Zu eben jener Zeit hatte mich eine weitere Begriffsfrage beschäftigt. Es gab in meiner Umgebung ein paar Apfelbäumchen, die fast keinen Stamm aufwiesen sondern sich bereits knapp über dem Boden verzweigten. Daneben wußte ich von Hasselnußsträuchern, die praktisch die gleiche Form aufwiesen. Wieso wurde nun das Apfelbäumchen in meinem Umkreis nicht als Apfelstrauch bezeichnet bzw. das Haselnußgewächs nicht als Bäumchen? Da ich auf diese Frage höchst unterschiedliche Antworten erhielt, hat sich in mir damals ein Bewußtsein der Relativität von Begriffen verfestigt. [<]

 

[40] Die hier vertretene Sichtweise impliziert in bezug auf die Universalienfrage eine eher nominalistische Position. Der in der platonischen aber auch aristotelischen Tradition stehende Universalienrealismus war mir aufgrund meiner Kindheitserfahrungen stets suspekt. [<]

 

[41] „Ähneln“ in dem Sinn, daß die „Wirklichkeit an sich“ nicht so ist, wie sie uns erscheint. [<]

 

[42] Bei so strikten Kriterien für den Begriff des Wissens wird das sogenannte Gettier-Problem vermieden. (vgl. Ernst, Gerhard; Das Problem des Wissens, Mentis-Verlag: Paderborn 2002.) Allerdings hat man bei diesem strengen Rechtfertigungsmaßstab (für derart gute Begründungen von Meinungen, daß sie als Wissen überhaupt in Frage kommen) nur mehr gegenüber sich selbst überhaupt einen echten Wissensanspruch, der überdies extrem beschränkt ist. [<]

 

[43] Da mir noch keine wirklich überzeugende Lösung des Gettier-Problems für eine Anerkennung von intersubjektivem Wissen untergekommen ist, kann für eine letztlich auf der Basis persönlicher Integrität ruhenden Wissenschaftlichkeit auch kein intersubjektiv vollständig nachvollziehbar kontrollierbarer Maßstab erstellt werden. Dies ist ein weiterer Grund, weshalb die gesellschaftlich real existierende pragmatische „Wissen“-schaft nur auf Glaubenssätzen fußt, über deren Vernünftigkeit mehr oder weniger Konsens besteht (irgendwie in Übereinstimmung mit Poppers Sicht der Rechtfertigung von jenen „Basissätzen“, die die Basis für die Überprüfung von Theorien bilden sollen), wobei der einzelne Wissenschaftler seine Zustimmung redlicherweise jedoch sehr wohl nur auf der Grundlage der von mir definierten Wahrhaftigkeit geben kann bzw. sollte (was Popper aus paranoider Furcht vor „Psychologismen“ leugnet). [<]

 

[44] vgl. Hume, David; Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, Philipp Reclam jun. GmbH & Co.: Stuttgart 1967/1982 bzw. Russell, Bertrand; Probleme der Philosophie, Suhrkamp Verlag: Frankfurt am Main 1967. [<] [< Querv.]

 

[45] Unter „Rationalität“ oder „Vernunft“ verstehe ich zumindest scheinbar bewährte Regeln und Erfahrungen verwendendes Denken. Allerdings sollten in diesem Zusammenhang unter anderem meine Hinweise auf die Grenzen von Logik und Mathematik kritisch im Auge behalten werden. [<]

 

[46] Kahneman Daniel; Schnelles Denken, langsames Denken, Siedler Verlag: München 2012. [<]

 

[47] Fast alle Lebewesen scheinen zu versuchen aus vergangenen Erfahrungen zu lernen. Obwohl diese Strategie, die unweigerlich einen gewissen induktiven Charakter aufweist, bereits erwähnte Limitationen aufweist, dürfte sie doch weitgehend vorteilhaft wirken. Wenn wir uns der Unsicherheit, die jeglicher Induktion innewohnt, bewußt sind und sie daher mit angemessener Vorsicht anwenden, können wir, so denke ich, zuversichtlich sein, daß wir sogar noch erfolgreicher sein werden. Außerdem, welche Alternative hätten wir? Die von Peirce vorgeschlagene Schlußform der „Abduktion“ scheint mir zur Beschreibung des Charakters der Hypothesenbildung ebensowenig brauchbar. vgl. Richter, Ansgar; Der Begriff der Abduktion bei Charles Sanders Peirce, Peter Lang GmbH Europäischer Verlag der Wissenschaften: Frankfurt am Main 1995. [<]

 

[48] Es geht nicht darum, Poppers teilweise durchaus kostbare Beiträge zu kompromittieren, sondern klar zu machen, daß es einfach unmöglich ist, völlig ohne induktive Elemente auszukommen. [<]

 

[49] „induktiv“ ist hier, wie auch anderswo im Sinne von „aus einer beschränkten Zahl vorhandener Erfahrungen (vor allem im Hinblick auf Zukünftiges, in manchen Fällen aber auch bezüglich Analogien und Ähnlichkeiten) verallgemeinert“ zu verstehen. [<]

 

[50] vgl. Fußnote [18. Außerdem wird in der Forschungspraxis üblicherweise die „Reproduzierbarkeit“ von Experimenten als Voraussetzung für deren Eignung zur Ableitung allgemein akzeptierter, potentiell falsifizierender Basissätze gefordert. Normalerweise wird diese „Reproduzierbarkeit“ in induktiver Weise, nicht selten bloß auf Grundlage einer beschränkten Zahl von erfolgreichen Wiederholungen, zumindest vorläufig angenommen, um eine provisorische Bewährung oder eine erfahrungsgemäß meist verläßlichere aber letztlich trotzdem ebenso provisorische Falsifikation einer Hypothese zu erzielen. [<]

 

[51] Es war einer der Verdienste Poppers, daß er auf die asymmetrische Verläßlichkeit von Bewährung und Falsifikation hingewiesen hat. Die Rechtfertigung für den Glauben an diese Asymmetrie, die allerdings längst nicht so rigoros wie in der „klassischen reinen Logik“ ist, speist sich jedoch aus einer induktiven Vermutung auf Basis empirischer Erfahrungen. Selbst wenn eine schwächere Asymmetrie innerhalb gewisser logischer Systeme erklärt werden kann, müßte Einsteins Einwand gegen die unbedingte empirische Anwendbarkeit der Mathematik in diesem Fall in analoger Weise berücksichtigt werden (vgl. Anmerkung [22]). [<]

 

[52] Der Versuch einer eingehenden Rechtfertigung oder fundierten Begründung der quasi in der Luft hängenden zirkulären Vorgangsweise führt nur noch tiefer in das sogenannte „Münchhausen-Trilemma“. (vgl. Albert, Hans; Traktat über kritische Vernunft, 5. verb. und erw. Auflage, J.C.B. Mohr (Paul Siebeck): Tübingen 1991.) Während die Prüfung der zirkulären Selbstaussagen der Theorie ein im Falle des Ausbleibens von bessere Alternativen nahelegenden empirischen Befunden bis ans Ende der Welt (oder besser der Menschheit) fortschreibbarer Prozeß ist, bildet die grundsätzliche vorläufige Annahme der gesamten Methodik einen dogmatischen Sprung in den Glauben. Doch selbst der Befund, daß sich der daraus ergebende kritische Empirismus, verbunden mit einem „hypothetischen metaphysischen Agnostizismus“ einstweilen vor der Erfahrung zu bewähren scheint, ist nicht unproblematisch, könnte dem doch auch so etwas wie eine selbsterfüllende Prophezeiung zugrunde liegen. Es gibt also keine „Letztbegründung“. Als Anhänger dieser empirisch kritischen, metaphysisch agnostischen Grundeinstellung, kann man nur darauf verweisen, daß man sich um eine der erlebten Wirklichkeit insgesamt angemessen erscheinende Haltung, also wie ich dies bereits nannte, um „Wahrhaftigkeit“ bemüht habe. Das Ganze ist ein Versuch so redlich wie möglich zu glauben, im vollen Bewußtsein, daß das grundsätzlich angenommene Nichtwissen ebenso eine Vermutung ist. Anderen Personen kann dies nur durch einen Appell, doch diese Hypothese anhand ihres eigenen Erlebens mit Alternativen vergleichend zu prüfen, nahegelegt werden. Mehr scheint mir wie auch in der ähnlichen Situation bei ethischen Fragen kaum möglich. [<]

 

[53] vgl. Artikel zu „Russellsche Antinomie“ bei https://de.wikipedia.org. [<]

 

[54] vgl. Artikel zu „Ockhams Rasiermesser“ bei https://de.wikipedia.org. [<] [< Querv.]

 

[55] Wenn einige Atheisten dieses „Rasiermesser“ dazu verwenden, um eine Art naturalistischen Realismus als praktisch einzig rationalen Standpunkt zu verteidigen, dann stellt dies einen schweren Mißbrauch dieser Empfehlung dar. vgl. z. B. Hitchens, Christopher; God is not great, Warner Books, Inc.: New York 2007. [<]

 

[56] vgl. Albert, Hans; Traktat über kritische Vernunft, 5. verb. und erw. Auflage, J.C.B. Mohr (Paul Siebeck): Tübingen 1991, „Konstruktion und Kritik: Theorienpluralismus“, wo Albert einer ständigen Suche nach alternativen metaphysischen Bezugsrahmen eine wichtige Rolle bei der Ermöglichung neuer Theorien zuschreibt. [<] [< Querv.]

 

[57] vgl. Vollmer, Gerhard; Evolutionäre Erkenntnistheorie, 3. Auflage, S. Hirzel Verlag: Stuttgart 1983. [<]

 

[58] In der Praxis ist mein Vorschlag vom grundsätzlich ebenso fallibilistischen Ansatz Poppers gar nicht soweit entfernt, auch wenn dieser jegliche Verwandtschaft wohl verbissen zurückgewiesen hätte. [<]

 

[59] Es gibt manche, die fordern, „Grund“ und „Ursache“ scharf von einander abzugrenzen. Von einem solchen Standpunkt aus wird z. B. der als physikalisch völlig unerfaßbar aufgefaßte „Haß“ einer Person als Grund für einen Mord vom „Haßgefühl“, das sich in einem entsprechenden neuronalen Erregungs- und Vernetzungsmuster, darüber hinaus oft auch im übrigen Körper manifestiert, unterschieden. Letzteres könne als zumindest im Prinzip empirisch greifbarer verursachender Auslöser einer von dieser Person gesetzten Mordhandlung angesehen werden. In der allgemeinen Sprachpraxis, aber auch in verschiedenen philosophischen Texten ist die Grenze zwischen den beiden Begriffen allerdings unscharf, auch wenn es natürlich Fälle gibt, wo nur einer davon sinnvoll erscheint. So kann etwa ein mathematisches Beweiskonstrukt zwar als Begründung (und damit dessen Inhalt als Grund) für bestimmte Zusammenhänge, nicht aber als deren Ursache bezeichnet werden. Vielleicht liegt bei verschränkten Teilchen ein irgendwie im entferntesten Sinne analoger Unterschied zu einer klassischen Ursache-Wirkungs-Beziehung vor. vgl. Ma, Xiao-song et al.; Experimental delayed-choice entanglement swapping, Nature Physics 8, 479–484 (2012), doi:10.1038/nphys2294. Nichtsdestotrotz können auch hoch abstrakte komplexe Abwägungen von Roboterkontrollsystemen während der Verarbeitung von riesigen Datenmengen durchgeführt werden. Daher ist es denkbar, daß die Initiierung physikalischer Kausalketten auf nahezu platonisch anmutende Gründe, die in Softwarestrukturen nachgebildet wurden, zurückgeführt werden kann. Nach allem dem Vorgebrachten dürfte zumindest eine sehr enge Beziehung zwischen den Begriffen „Grund“ und „Ursache“ bestehen. [<]

 

[60] vgl. Einheitsübersetzung der Bibel, Röm. 9, 14–24. [<]

 

[61] eine ironische, aber reizvolle Anspielung auf: Monod, Jacques; Zufall und Notwendigkeit, 3. Auflage Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG: München 1971/1977. Nimmt man eine Seele, eine cartesische „res cogitans“ oder was auch immer an, die in auch noch so kleinen Teilentscheidungen völlig unabhängig von irgendwelchen Einflüssen agiere, so ist meine These, daß sie in diesen Teilentscheidungen quasi als „Zufallsgenerator“ fungieren würde. Die von diesen Zufälligkeiten abgesehen postulierte Abhängigkeit von diversen Einflüssen bedeutet aber keine Leugnung der Möglichkeit rationaler Handlungsgründe. Im Gegenteil, diese würde durch eine unbeschränkte Willkür gefährdet. In Analogie dazu ist die Zahlenfolge, die ein Computer bei der Berechnung der Zahl π auswirft, zwar durch die elektrischen Vorgänge in seinem Inneren bestimmt, gehorcht aber bei korrekter Umsetzung eines adäquaten Algorithmus auch abstrakten mathematischen Gesetzmäßigkeiten. [<] [< Querv.]

 

[62] Die in Fußnote [59] erwähnte zeitverzögerte „Teleportation“ scheint mir auch so auslegbar. Wie in jener Fußnote angedeutet, neige ich allerdings zu der Befürchtung, daß die Ergebnisse der Verschränkungsexperimente momentan überhaupt falsch interpretiert werden. [<]

 

[63] Vielleicht sollte man es besser als „Konzept einer grundsätzlichen generellen Wechselbeziehung“ bezeichnen. [<]

 

[64] Letztlich scheint mir die pragmatische Annahme der Existenz eines echten psychischen Innenlebens bei meinen Mitmenschen und auch anderen Lebewesen, im Alltag die beste Option, denn sie ist jedenfalls zumindest eine reale Möglichkeit und ich glaube nicht, daß ich mental dazu in der Lage wäre, andere Personen adäquat zu behandeln, wenn ich sie zu sehr als potentielle philosophische Zombies betrachten würde. [<]

 

[65] Der Begriff „Akrasie“ bezeichnet fehlende Willensstärke, das für richtig gehaltene auch zu tun. Vielleicht bildet ein widerstreitendes intuitives emotionales Denken (nach Kahneman „System 1“) eine mögliche Teilerklärung für das Auftreten einer Akrasie, die bewußte rationale Überlegungen an der Umsetzung hindert. vgl. Kahneman Daniel; Schnelles Denken, langsames Denken, Siedler Verlag: München 2012. [<]

 

[66] vgl. Gedicht über einen Tausendfüßler in: Watts, Alan W.; The Way of Zen, Pantheon Books Inc.: New York 1957. [<]

 

[67] vgl. meine Kritik im Abschnitt 6. [<]

 

[68] An dieser Stelle möchte ich in Erinnerung rufen, daß ich lange Zeit ein christlicher Fundamentalist war. Damals erfuhr ich immer wieder die „Gnade“ exstatischer mystischer Erfahrungen, die sich im Nachhinein als reproduzierbare illusionäre Autosuggestionen entpuppten. [<]

 

[69] vgl. Hoerster, Norbert; Ethik und Interesse, Philipp Reclam jun. GmbH & Co.: Stuttgart 2003. [<]

 

[70] Auch Hans Albert versuchte über „Brücken-Prinzipien“ die Kluft zwischen einer rein deskriptiven Wissenschaftlichkeit und rationalen Handlungsnormen zu überwinden. (vgl. Albert, Hans; Traktat über kritische Vernunft, 5. verb. und erw. Auflage, J.C.B. Mohr (Paul Siebeck): Tübingen 1991.) Die Tatsache, daß es im Konfliktfall selbst bei einer Einigung darüber, was rein äußerlich der Fall sei, keinen in zwingender Weise eindeutigen Übergang zu dem gibt, was sein sollte, bildet wohl das Fundament für die oft überstrapazierte These vom „naturalistischen Fehlschluß“. [<]

 

[71] Diese Instinkte reichen jedoch in modernen anonymen Massengesellschaften nicht aus. [<]

 

[72] Für neurowissenschaftliche Überlegungen vgl. Rizzolatti, Giacomo; Sinigaglia, Corrado; Empathie und Spiegelneurone, edition unseld 11, Suhrkamp Verlag: Frankfurt am Main 2008. [<]

 

[73] Obwohl ich derzeit nicht an die Erkennbarkeit unveränderlicher ewig gültiger Gesetze glaube, denke ich doch, daß fühlende Wesen mit einer menschlichen Natur hartnäckig an der beispiellosen Errungenschaft, welche die Menschenrechtserklärung (trotz eventueller Mängel in gewissen Details) darstellt, festhalten sollten. (vgl. Resolution 217 A (III) der UN-Generalversammlung vom 10. Dezember 1948.) Da sie aus wollenden Subjekten besteht, kann die Mehrheit der Menschen solche Rechte rational mit Argumenten verteidigen, die auf Basis sorgfältiger Hypothesen eine gemeinsame gegenwärtige, gleichwohl möglicherweise in evolutionärer Hinsicht vergängliche „Natur“ und damit vernunftgemäß verbundene Interessenlage postulieren. [<]

 

[74] vgl. Artikel zu „Russells Teekanne“ bei https://de.wikipedia.org. [<]

 

[75] vgl. Artikel zu „Unsterblichkeit“ bei https://de.wikipedia.org. [<]

 

[76] Kant, Immanuel; Kritik der praktischen Vernunft, Philipp Reclam jun. GmbH & Co.: Stuttgart 1986. [<]

 

[77] Mackie, John Leslie; Das Wunder des Theismus, Philipp Reclam jun. GmbH & Co.: Stuttgart 1985. Das Buch ist auf die Betrachtung des Monotheismus fokussiert und behandelt polytheistische Systeme, die ebenso in philosophisch abstrakter Weise diskutierten werden könnten, kaum. Was rechtfertigt darüber hinaus einen quasi stillschweigenden „a priori“ Ausschluß von moralisch indifferenten oder gar bösen Göttern oder Dämonen? Was ist mit göttlichen Wesenheiten, die nicht allwissend oder allmächtig sind? Daher ist die Zurückweisung des Gelingens der Theodizee noch kein hinreichendes Argument für einen umfassenden Atheismus. [<] [< Querv.]

 

[78] vgl. Buggle, Franz, Denn sie wissen nicht, was sie glauben, Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH: Hamburg 1992. [<]

 

[79] vgl. z. B. Einheitsübersetzung der Bibel: Mt 5, 17–20; Mt 5, 27–32 Mt 19, 3–12; Mt 21, 18–22; Mt 25, 14–30; Mk 3, 20–30; Mk 4, 10–12; Mk 10, 2–12; Lk 6, 43–45; Lk 10, 10–16; Lk 13, 23–28; Lk 16, 16–31; Joh 8, 12–59; Joh 20, 24–29. [<]

 

[80] vgl. z. B. Deschner, Karlheinz; Kriminalgeschichte des Christentums, 8 Bände, Rowohlt Verlag GmbH: Reinbek bei Hamburg 1986-2004. [<]

 

[81] Jene Sünde, die Jesus zufolge nicht vergeben wird, nämlich die Lästerung des heiligen Geistes, wird im ältesten Evangelium nach Markus in einem interessanten Kontext thematisiert. Bei Mk 3, 20–21 lesen wir, daß die Verwandten Jesu zweifeln, ob er bei Sinnen sei. Dann folgt eine Passage, Mk 3, 22–30, in der Jesus sich gegen Schriftgelehrte verteidigt, die die Herkunft seiner Geisteskräfte in Zweifel ziehen, und droht ihnen, daß eine derartige Lästerung in Ewigkeit nicht vergeben wird. Aus dem nächsten Textabschnitt, Mk 3, 31–34, geht hervor, daß sogar seine Mutter zu denen zählt, die sich bezüglich seiner geistigen Gesundheit nicht so sicher sind, und Jesus erteilt ihr und seinen Brüdern eine ziemliche schroffe Abfuhr. [<]

 

[82] Wenn Religionen, wie dies die meisten machen, unkritische Bekenntnisse über eigentlich Spekulatives fordern, so ist das für mich ein gewichtiges Indiz, das gegen sie spricht. Was ist das für eine Spiritualität, die eine tiefe Redlichkeit des Herzens – nicht bloß aus Rücksicht auf unsere Schwachheit – verrät, sondern uns dies auch noch als Tugend verkauft? Was ist das für eine erbärmliche göttliche Instanz, die angeblich eine derartige Verlogenheit verlangt? [<]

 

[83] von mir meist herangezogene Koranausgabe: Khoury, Adel Theodor (Übersetzer); Der Koran, Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn: Güterloh 1987. [<]

 

[84] vgl. z. B.: Shah, Idries; Wege des Lernens, Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf.: München 1985. [<]

 

[85] vgl. Muesse Mark W.; The Hindu Tradition: A concise Introduction, Fortress Press: Minneapolis 2011 bzw. Hiriyanna, Mysore; Vom Wesen der indischen Philosophie, Eugen Dietrichs Verlag: München 1990. [<]

 

[86] vgl. Webster, David; The Philosophy of Desire in the Buddhist Pali Canon, RoutledgeCurzon: Abingdon, Oxfordshire 2005. [<]

 

[87] vgl. Han, Byung-Chul; Philosophie des Zen-Buddhismus, Philipp Reclam jun. GmbH & Co.: Stuttgart 2002 bzw. Binder, Alfred; Mythos Zen, Alibri Verlag: Aschaffenburg 2009. (Das lesenswerte Buch enthält jedoch Passagen, die in Richtung des von mir mehrmals kritisierten Materialismus im Geiste des 19. Jahrhunderts tendieren.) Der Autor zitiert in seinem Buch Brian Victoria, der die Verwicklungen des Zen-Buddhismus in den japanischen Militarismus während des 2. Weltkrieges thematisiert. (vgl. Victoria, Brian Daizen; Zen at War, 2. Auflage, Rowman & Littlefield Publishers: Langham, Maryland 2006) Binder betont, daß dies das logische Ergebnis einer langen Entwicklung war, die aus etlichen Aspekten der Zen-Tradition hervorging, von denen etwa das Hagakure nur eine besonders üble Manifestation darstellt. Doch er geht in seiner Kritik weit darüber hinaus. Vermeintliche Erfahrungen der Nicht-Dualität etc., die angeblich die gewöhnliche Logik übersteigen, könnten eventuell nur auf psychischen Phänomenen beruhen, die durch bestimmte Techniken ausgelöst werden. Der vermeintliche direkte Kontakt mit der Realität den sogenannte erleuchtete Meister für sich reklamieren, ist daher vielleicht nur reine Illusion. Binder kritisiert mystische Wahrheitsansprüche, aber auch philosophische Anschauungen, wie Idealismus oder gar Phenomenalismus. Er verteidigt einen ziemlich naiven indirekten materialistischen Realismus. Gerade weil seine Einwände gegen oft apodiktisch vertretene buddhistische Weltsichten in gewissem Ausmaß durchaus berechtigt sind, ist mir Binders eigene Engstirnigkeit in diesem Zusammenhang unverständlich. [<]

 

[88] vgl. Kalat, James W.; Biological Psychology, 10. Auflage, Wadsworth, Cengage Learning: Belmont, Carlifornia 2009. [<]

 

[89] Batchelor, Stephen; Buddhismus für Ungläubige, 9. Auflage, Fischer Taschenbuch Verlag GmbH: Frankfurt am Main 1998/2003. [<]

 

[90] vgl. Artikel zu „Pascalsche Wette“ bei https://de.wikipedia.org. [<]

 

[91] vgl. Hoerster, Norbert; Glaube und Vernunft, Philipp Reclam jun. GmbH & Co.: Stuttgart 1985. [<]

 

[92] vgl. Küng, Hans; Existiert Gott, 3. Auflage, R. Piper & Co. Verlag: München 1995. [<]

 

[93] Mein Setzen auf Wahrhaftigkeit gründet jedoch nicht in einer existentialistischen pathetischen Haltung, etwa nach dem Vorbild Nietzsches oder Camus'. Das Bemühen um Redlichkeit geschieht allein aus der bescheidenen Hoffnung, daß dies sowohl im innerweltlichen als auch im religiösen Kontext die am Ende erfolgversprechendste Strategie ist. Dagegen könnte man nun einwenden, daß diese Einstellung ebenso opportunistisch sei, wie Pascals Wette. Allerdings liegt hier der Versuch vor, nicht rein willkürlich sondern sachlich gerechtfertigt vorzugehen. Gerade deshalb sollte auch im Gegensatz etwa zu Nietzsche jedes überheblich rechthaberische Gehabe vermieden werden, das gerade angesichts unseres enormen Nichtwissens gegenüber irgendwelchen eventuellen göttlichen oder sonstigen überirdischen Instanzen nicht mit inhaltlich konkreten Argumenten so zu verteidigen wäre, daß man zumindest auf Verständnis hoffen kann. [<]

 

[94] Dieses Weltbild ist aber leider noch unheimeliger als jenes von Monods „Zigeuner am Rande des Universums“ (Monod, Jacques; Zufall und Notwendigkeit, 3. Auflage Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG: München 1971/1977.), der zumindest fest davon überzeugt ist, von allen etwaigen Leiden durch einen ewigen traumlosen Schlaf erlöst zu werden. Da ich mit dem Buddha die Ansicht einer grundsätzlichen Leidhaftigkeit des Leben durchaus teile und ich einem eventuellen Schöpfer dieser gegenwärtigen Welt die Schaffung einer wirklich auf ewig glücklich machenden nicht zutraue, bevorzuge ich ein endgültiges „Erlöschen“ der Lebensflamme gegenüber irgendeiner Art der Weiterexistenz, von einer Wiedergeburt in dieses „Tal der Tränen“ ganz zu schweigen. Mein Glaube gibt mir hier aber keine beruhigende Gewißheit, weshalb mir nur die Hoffnung bleibt. [<]

 

[95] Palaver, Wolfgang; René Girards mimetische Theorie, 3. Auflage, LIT-Verlag: Münster u. a. 2008. [<]

 

[96] vgl. Artikel zu „Geplante Obsoleszenz“ bei https://de.wikipedia.org. Meine Kenntnisse zum Problem der geplanten Obsoleszenz stammen aus der reichhaltigen Literatur (z. B. Eisenriegler, Sepp; Konsumtrottel, edition a: Wien 2016. Kreiß, Christian; Geplanter Verschleiss, Europa Verlag GmbH & Co. KG: Wien u. a. 2014. Schridde, Stefan; Murks? Nein danke!, oekom Verlag: München 2014.) und aus einem vielfältigen persönlichen Einblick in die Materie. [<]

 

[97] Die Literatur zu diesem Thema ist unüberblickbar. Daher hat niemand die Möglichkeit der Ausrede nicht genug Informationen zu haben. Anders ausgedrückt haben wir alle hinreichende Gründe an eine gewisse moralische Verantwortung in diesem Zusammenhang zu glauben. [<]

 

[98] vgl. Helliwell, J.; Layard, R.; Sachs, J.; World Happiness Report 2017, Sustainable Development Solutions Network: New York 2017. (http://worldhapiness.report/) [<]

 

[99] Liedloff, Jean; Auf der Suche nach dem verlorenen Glück, C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung (Oscar Beck): München 1980/1990. Das gewählte Beispiel bringt auch zum Ausdruck, daß selbst auf sehr fragwürdige Weise entstandene Theorien durchaus eine Berechtigung haben können, falls und soweit sie sich bewähren. In diesem Punkt ist Popper sicherlich zuzustimmen. Übrigens hätte ich am Ende des Abschnittes 3, beim Versuch meine erkenntnistheoretische Position zu rechtfertigen ebenso, wie von dieser Autorin oder einigen Konstruktivisten in ihren jeweiligen Argumentationen praktiziert, auf einen „evolutionstheoretischen Mythos“ zurückgreifen können, indem ich aus der tendenziellen menschlichen Neigung zur induktiven Verallgemeinerung, auf deren entwicklungsgeschichtliche Vorteilhaftigkeit geschlossen hätte. Aber ich habe aus guten Gründen darauf verzichtet. [<]

 

[100] vgl. Edgerton, Robert B.; Trügerische Paradiese, Ernst Kabel Verlag GmbH: Hamburg 1994. [<]

 

[101] Zu den Tücken der Statistik vgl. Beck-Bornholdt, Hans-Peter; Dubben, Hans-Hermann; Der Hund, der Eier legt, Rowohlt Taschenbuch Verlag: Reinbeck bei Hamburg 1997/2006. Allerdings diskutieren die Autoren jene grundlegenden Annahmen, die hinter jeder Statistik stehen, wie Zufälligkeit, Verteilungsmodelle, die Sinnhaftigkeit des induktiven Schlusses etc. kaum. Alternative: Bandyopadhyay, Prasanta S.; Forster, Malcolm R.; Philosophy of Statistics, North Holland, Elsevier B.V.: Oxford/Amsterdam/ Burlington 2011. [<]

 

[102] Literaturempfehlung: Freedman, Rita; Die Opfer der Venus, Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG: München 1993. [<]

 

[103] Es gibt auch viele legale Formen der politischen Korrumpierbarkeit. Man denke nur an die weitverbreiteten lukrativen Jobangebote für ehemalige Politiker. Ist es nicht gut möglich, daß allein die Aussicht auf derartige Posten sie in korrumpierender Art beeinflußt, während sie noch im Amt sind? [<]

 

[104] Dies soll auf keinen Fall eine geschlossen operierende weltweite Konspiration andeuten. Im Gegenteil, es gibt ganz offensichtlich wechselnde Koalitionen, die sich gegenseitig heftig bekämpfen. Das einzige, was alle verbindet, ist ihr gemeinsames Interesse, die Mehrheit der anderen Menschen auszubeuten. Es steht also keine geordnete Strategie dahinter, auch wenn einige Gruppen, die WTO, das Weltwirtschaftsforum, den „European Round Table of Industrialists“ etc. etwa für Lobbying- oder Unrechtsetzungszwecke nützen. [<]

 

[105] Zusätzlich zu den Mindeststandards sollten europaweit agierende Gewerkschaften für eine fair ausbalancierte Angleichung der Löhne von Beschäftigten aller Unternehmen, die am Binnenmarkt tätig sind, kämpfen. Auf längere Sicht sollte solche Tarife immer strikter auf alle Beteiligten in den Wertschöpfungsketten ausgeweitet werden, unabhängig von ihrem Wohnort. Ein afrikanischer Minenarbeiter, der uns direkt oder indirekt mit wertvollen Rohstoffen versorgt, soll nicht schlechter leben als ein deutscher Bergarbeiter. Wie leicht einzusehen ist, könnten wir uns das nur leisten, wenn wir unseren Verbrauch drastisch reduzieren. Dies ist ein weiterer Grund, weshalb ich auf eine rigorose Beendigung der geplanten Obsoleszenz in all ihren Formen (inklusive der teilweise durch Marketing und Werbung bedingten psychischen Ursachen) dränge. [<]

 

[106] Da zum Beispiel eine fehlende Gesundheits- und Altersversorgung einen erhöhten Kinderwunsch induziert, hängt nicht nur das schicksalhafte Wohlergehen des Einzelnen sondern das Überleben der Menschheit von der weltweiten Etablierung gesellschaftlicher Einrichtungen zur solidarischen Risikominderung ab. Sollte einem Großteil der Menschheit weiterhin eine gewisse soziale Absicherung verwehrt bleiben, so wird die Weltbevölkerung bis zum Kollaps durch Ressourcenkriege etc. weiterwachsen. Ein gewisses Wohlstandsniveau hat sich empirisch als humanes Mittel zur Reduktion der Geburtenrate bewährt. [<]

 

[107] Ich bin ein grundsätzlicher Befürworter der direkten Demokratie nach Schweizer Vorbild. Aber vor deren Einführung müßte ein demokratischer, niederschwelliger und fair gewichteter Zugang zu den Medien für alle garantiert sein, damit eine ausgewogene Debatte über Abstimmungsinhalte sichergestellt ist. Heutzutage wären Plebiszite zu sehr den Manipulationen einflußreicher wohlhabender Minderheiten ausgesetzt. [<]

 

[108] Das Scheitern der Gegenkulturbewegungen in den 1960er bis Mitte 1970er Jahren sollte eine deutliche Warnung sein. Diese waren von irrationalen romantischen Illusionen, Drogen und inneren Widersprüchlichkeiten (gerade auch in Bezug zum Konsumismus) gekennzeichnet. All das legte das Fundament für den folgenden Triumph des sogenannten Neoliberalismus, der im Widerspruch zu seinem Namen gerade dabei ist, die Freiheit der meisten Menschen zu zerstören. [<]

 

[109] Resolution 217 A (III) der UN-Generalversammlung vom 10. Dezember 1948. [<]